piwik no script img

Reiz aus Gegensätzlichkeit

■ Das Prager Kammerballett gastiert im Hebbel-Theater

Das Prager Kammerballett ist ein Tanzensemble, das 1975 von Pavel Smok mit Studenten gegründet wurde. Es verfügt über keine eigene Spielstätte, wurde aber schnell über die Grenzen von Prag hinaus berühmt und hat seit seiner Gründung mehr als achtzig Inszenierungen erarbeitet.

Gestern und vorgestern abend präsentierte es einen zweiteiligen Abend, an dem eine Choreographie ihres Leiters und eine Arbeit von Gerhard Bohner zu sehen war. Die Zusammenarbeit mit Bohner begann 1990. Die unterschiedlichen Arbeitsweisen und ästhetischen Grundhaltungen von Bohner und Smok sollten gegeneinander gestellt und mit demselben Ensemble ausprobiert werden. Aus diesem Spannungsfeld gewinnt auch der Abend im Hebbel-Theater seinen Reiz. Im ersten Teil »Angst und Geometrie« bewegen sich Menschen in klar vorgezeichneten Räumen meistens aneinander vorbei. Die Bilder bleiben in ihrer Deutung offen. Frauen in grauen Kleidern mit rot angestrichenen Beinen, die sie zu Puppen werden lassen, füllen den Bühnenraum, um gleich wieder auseinanderzuschweben und zu verschwinden. Sie wirken uniform und ununterscheidbar.

Ihr Äußeres ändert sich: Die schlichten Kleider werden zu Reifrockgewändern, deren unterer Teil fehlt. Flammend rote Beine werden sichtbar, diesmal bestrumpft und die Füße in Spitzenschuhen. Der Zwang scheint größer zu werden, die Körper bleiben in Bewegungsansätzen stecken und können sich nicht wirklich entfalten. Die Gruppe, zu der inzwischen auch drei Männer gestoßen sind, sucht nach einem Zusammenhalt, der immer nur in kurzen Momenten gelingt. Gleich bricht wieder alles auseinander, und die Tänzerinnen und Tänzer werden wie an Fäden weggezogen. Ein Mann bleibt in erstarrter Haltung allein zurück.

Während in der ersten Phase der dreiteiligen Arbeit von Bohner sparsame Bewegungsabläufe das Geschehen bestimmen, ufern diese Bewegungen später aus und werden mit folkloristischen Elementen verknüpft.

Die anfangs geschlossene Ästhetik wird aufgeweicht und nimmt der weiteren Handlung leider die Spannung. Die Arbeit von Pavel Smok basiert auf einem Streichsextett von Arnold Schönberg, das nach einem Gedicht von Richard Dehmel entstand. »Verklärte Nacht« heißt das Stück. Es erzählt eine Dreiecksgeschichte: Eine Frau verfällt einer kurzen Verführung und wird schwanger. Ihr Mann, den sie eigentlich liebt, will sich von ihr trennen, aber nach einer qualvollen Phase, in der er von ihr weg will und es doch nicht kann, verzeiht er ihr und bleibt mit ihr zusammen.

Die drei Darsteller ertanzen diese doppelte Liebesgeschichte mit ungeheurer Präzision. Bis zum kleinsten Finger sind die Tanzschritte durchkomponiert, und eine Bewegung ergibt sich aus der anderen. Man ahnt schon vorher, welche Berührung, welche Geste folgen wird. Der Liebhaber ist verschwunden, die Frau erinnert sich an die Begegnung. Die Tänzerin braucht die gesamte Bühne, um ihrer Erregung Herr zu werden; wechselt von expressiver Bewegung, bei der man ihre Schreie zu hören meint, in eine zusammengekauerte Haltung. Sie ist ganz in sich verschlossen und entdeckt ihren Körper neu. Ihr Solo endet ganz vorn an der Rampe: Ihre Hände liegen flach auf dem Bauch, und verwundert beobachtet sie, wie sich die Arme von selbst bewegen, sich zu einem Kreis öffnen, der ihren schwangeren Körper umschließt. Nicht ein einziges Mal in dieser Inszenierung bricht die Verbindung der drei Tänzer zueinander ab. Immer kann die Geschichte in ihrer Gesamtheit verfolgt werden. Die Spannung hält bis zum letzten Ton und bis zum letzten Schritt. Sibylle Burkert

Das Prager Kammerballett ist heute und morgen mit einem weiteren Abend im Hebbel-Theater zu sehen. Beginn jeweils 20.00 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen