: Gaunereien, Spielereien
Prager Theater in Berlin ■ Von Sabine Seifert
Noch vor Beginn der Berliner Festwochen mit Schwerpunkt Prag versuchte ich einen tschechischen Theaterwissenschaftler zu kontaktierend. Er ist lange am Prager Institut für Theaterwissenschaft angestellt gewesen. Ein Kenner der Szene — um so erstaunlicher, daß er nicht mehr ins Theater geht, wie er mir sagte. Es sei uninteressant geworden. Etwas kann ich ihn jetzt verstehen.
In Prag wird jetzt das kommerzielle Theater großgeschrieben, riesigen Erfolg feiert das Musical „Les Misérables“ mit tschechischen Popstars, Touristen strömen in die Laterna Magica und ins Schwarze Theater. Wie eh und je, und ein bißchen mehr. Prag ist von Berlin nur vierhundert Kilometer entfernt: näher als Köln, Düsseldorf oder München, auf der halben Strecke nach Wien und doch weit weg.
Die Berliner Festwochen luden also die Studiobühnen ein, von denen die meisten in den sechziger Jahren gegründet wurden und damals auch ihre Blütezeit hatten: den Cinoherni Klub (Schauspielclub), das StudioY, das Divadlo Jaŕy Cimrmna und das Divadlo Na Zábradli (Theater am Geländer). Sie kamen und spielten, amüsierten und langweilten irgendwie doch.
Die Regisseure dieser Bühnen sind mittlerweile an ihre Theater zurückgekehrt oder dürfen wieder inszenieren, was sie wollen. Was macht Jiri Menzel (Cinoherni Club)? Eine statuarische Inszenierung von Vaclav Havels „Gauneroper“, einer tschechischen Variante der „Dreigroschenoper“. Was macht das Studio Y? Opernparodie mit „Mozart in Prag“, die sich erst gegen Ende traut, zu ihrem eigentlichen parodistischen Anliegen zu kommen. Das Divadlo Járy Cimrmna macht, was es immer macht, und das sehr komisch. Man schreibt die fiktive Geschichte des Komponisten Cimrmna fort, dem man einen herrlich blöden Volksbildungsabend widmet, ausschließlich von älteren Männern mit trockenem Humor gestaltet, die sich zudem erdreisten, das musiktheatralische Werk des fiktiven Komponisten am Ende auf die Bühne zu heben: eine nette Parodie auf den tschechischen Inferioritätskomplex gegenüber den Deutschen und dem Rest der Welt.
Und man spielt neue Stücke — Oleg Jurjews „Kleiner Pogrom im Bahnhofsbüffet“ (Gastregie: Arnost Goldflam am Divadlo Na Zábradli), dessen Theater-im-Theater-Effekt verschenkt schien —, oder gräbt alte Stücke aus, wie die 1912 entstandene und verloren gegangene Komödie „Narrentanz“ des Russen Lew Birinskij (Regie: Ladislav Smocek/Cinoherni Club). Ein Stoff, der momentan wohl nur in einem postkommunistischen Land spielbar ist und aufs deftigste ausgespielt wurde.
Ein Gouverneur zeigt vermeintliche Aufstände in seiner Provinz an und kassiert die aus Moskau fließenden Gelder zur Aufstandsbekämpfung in die eigene Tasche. In der Gefahr, entdeckt zu werden, inszeniert er gar ein revolutionäres Attentat auf sich selbst, das wiederum die in seinem Gouvernement untergeschlüpften Revolutionäre, die alles dafür tun, daß in ihrer Umgebung ja nichts Aufständiges und Unanständiges stattfindet, in hellste Aufregung versetzt. Hier wird Spießermoral gegen die übertriebene Moral der Jungrevolutionäre gesetzt, die letzlich genauso spießig ist. Der zum Marxist konvertierte Sohn hält seinen Vater für einen Revolutionär, weil er seine Frau betrügt und damit die bürgerliche Ehe in Frage stellt. Ein politischer Stoff als Boulevardkomödie, dem eins nicht bekam: die Figuren schienen blöder als die Zuschauer — das hat letztlich keiner von beiden verkraftet. Lachen kann zwar befreiend sein, aber ist nicht immer herzlich.
Karel Král, Chefredakteur der Zeitschrift Svět a Divadlo, beschreibt im Begleitheft die Schwierigkeit der heutigen tschechischen Theatergarde, die eben nicht mehr zur Avantgarde zählt: „Die renommierten Theater der sechziger Jahre erleben in gewissem Sinn eine Renaissance, die Rückkehr der aus Prag verbannten führenden Persönlichkeiten, ... Bisweilen zeigt sich wie trügerisch diese Art der Rückkehr sein kann, wie die veränderte Zeit eine Dramaturgie und einen Inszenierungsstil zu einem leeren Gestus werden läßt... Die Hinwendung zur Vergangenheit ist in der Regel ein Versuch, fünf, zehn oder zwanzig Jahre alte dramaturgische Projekte und Regieträume Wirklichkeit werden zu lassen.“ Da hilft nur eins: die jungen Leute ranlassen.
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