: Wer hat uns zu wenig verraten?
■ Zur Aktualität einer geringfügig modernisierten alten Kampfparole
Wer hat uns zu wenig verraten? Zur Aktualität einer geringfügig modernisierten alten Kampfparole
Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ — Lang ist's her, daß Kommunisten und Linke mit dieser Parole gegen den bürgerlichen Erzfeind SPD ins Feld zogen. Mittlerweile allerdings, nach der Zustimmung des SPD-Vorstands zur Grundgesetzänderung in Sachen Asyl und Bundeswehreinsatz, scheint diese alte Kampfparole, mit einer kleinen Modifizierung, wieder durchaus aktuell: Wer hat uns zu wenig verraten — Sozialdemokraten! Über Jahre hat uns die SPD- Spitze nicht verraten, daß zu einer Lösung des Zuwandererproblems der Asylparagraph des Grundgesetzes geändert werden muß; im Gegenteil wurde stets darauf bestanden, daß an diesem aus historischer Verantwortung gewachsenen Prinzip nicht gerüttelt werden darf, daß nur ihre Unfähigkeit die amtierende Regierung daran hindere, mit Hilfe der bestehenden Gesetze und Verordnungen das Zuwandererproblem in den Griff zu bekommen. Wie jetzt, vermittels des geänderten Grundgesetzes, diese Unfähigkeit beseitigt werden kann, hat uns die SPD nicht verraten.
Völlig im dunkeln gelassen und nichts verraten hat uns die SPD auch über die Rolle der Bundeswehr: Die Sozialdemokraten haben immer wieder betont, daß an dem demokratischen Prinzip einer reinen Landesverteidigung nicht gerüttelt werden dürfe. Quasi über Nacht ist nun sogar eine Beteiligung der Bundeswehr an UNO-Kampfeinsätzen für den SPD-Chef so unverzichtbar geworden, daß er dafür das Grundgesetz ändern will. Alles halb so schlimm: irgendwie soll ja ein bißchen Menschenrecht auf Asyl erhalten bleiben, und Kampfeinsätze deutscher Soldaten im Ausland wird es nur im Rahmen einer (von Engholm??) „reformierten“ UNO geben. Wenn aber eine Reform der UNO nicht absehbar ist und das Asylrecht für Verfolgte weiterbestehen soll, warum dann die Verfassung ändern? Lassen wir uns von den Nebelkerzen, die die SPD- Spitze zur Erleuchtung des Sonderparteitags werfen wird, nicht verwirren: Es geht weder um politisch Verfolgte noch um die Rolle von UNO und Bundeswehr. Die SPD will ran an die Regierungsfleischtöpfe, und sie nimmt mit ihrer Wende den von der CDU in die Wahlkampfschlacht geworfenen Themen den Wind aus den Segeln.
Und was ist, wenn das Grundgesetz geändert ist, und die Flüchtlinge kommen weiter nach Deutschland, weil die Kriege in aller Welt trotz UNO-Einsätzen (und dank stetiger deutscher Waffenlieferungen) unvermindert weitergehen? Was werden Engholm und Schäuble als Führer einer großen Koalition dann tun, und welche Geheimnisse wird uns der kuschelweiche SPD-Kanzler aus Kiel dann zu verraten haben? Vielleicht die Erkenntnis, daß die SPD wieder „Profil zeigen“ und sich auf ihre ehrwürdigen Prinzipien besinnen muß?
Bis es soweit ist, werden wir uns damit abfinden müssen, daß der Unterschied zwischen CDU und SPD noch kleiner ist als der zwischen Pepsi- und Coca-Cola. You can't beat the feeling! Mathias Bröckers
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