: Im Osten gewinnt Staffelt den Parteivorsitz
■ In den SPD- Bezirken fällt zur Zeit die Vorentscheidung darüber, wer den Parteivorsitz übernimmt: der Pragmatiker Ditmar Staffelt oder seine Konkurrentin von der Linken, Monika Buttgereit/ Die taz begleitete die beiden Kandidaten beim Besuch einiger SPD-Bezirksversammlungen
Berlin. Die Sitzung wird unterbrochen, als die Matadoren den Saal betreten. Bei den Mitgliedern der Köpenicker SPD setzt erwartungsvolle Stille ein, schließlich verirrt sich die Parteiprominenz nicht alle Tage auf ihre Vollversammlung. Der Weg von der Parteizentrale in der Weddinger Müllerstraße bis in den Süden des Osten der Stadt ist noch immer recht weit. Die stellvertretende Landesvorsitzende Monika Buttgereit und der Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt buhlen um den Posten des Landesvorsitzenden der SPD.
Auf dem Landesparteitag Ende Oktober wird die Entscheidung fallen. Zuvor klappern Buttgereit und Staffelt die Bezirksversammlungen ab, um sich den Mitgliedern und Delegierten vorzustellen. Vier Bezirke haben sie bei diesem Vorwahlkampf schon hinter sich gebracht, als sie am frühen Freitag abend in die Aula des Humboldt-Gymnasiums in der Oberspreestraße kommen. Die bis dahin erzielten Ergebnisse geben dem Fraktionsvorsitzenden einen leichten Vorteil. Zwar haben die Charlottenburger Genossen und Genossinnen zu zwei Dritteln für Buttgereit votiert, doch konnte Staffelt dieses Ergebnis durch einen leichten Vorteil in Spandau wieder wettmachen. Das dickste Pfund, mit dem er bislang jedoch politisch wuchert, ist die einhellige Unterstützung seiner Kandidatur durch die Ostbezirke. In Hellersdorf und Weißensee hat er Ergebnisse erzielt, die DDR-Standard haben, doch bereits zuvor hat er den Zuspruch aller Vorsitzenden der Ost-Kreisverbände erhalten.
An diese wendet sich Buttgereit dann auch, als sie vor den Köpenicker Genossinnen und Genossen das Wort ergreift: Mancher fände es wohl eine Unverschämtheit, daß sie überhaupt kandidiere. Das Selbstbewußtsein, dieses zu tun, ziehe sie aus der Parteiarbeit. Buttgereit ist wie Staffelt in der SPD politisch großgeworden, doch hat sie daraus nie einen Beruf gemacht, aus Überzeugung, wie sie sagt. Es ist nicht das einzige, was sie aus Überzeugung macht. Ihre Kampfansage an Staffelt begründet sie mit dem Credo, Landes- und Fraktionsvorsitz müßten voneinander getrennt bleiben. Sonst würde sich die Partei der Fraktion unterordnen. Ein politischer Fehler in einer Zeit, in der, nach Buttgereits Einschätzung, mit der Großen Koalition ein Stillstand jeglicher Reformpolitik herrsche. Solche Einwände wischt Staffelt mit raumgreifender Rede beiseite. Man müsse den Menschen Orientierung geben. Diese wollten wissen, was in den nächsten zwei Jahren passiere. Ihn hindere auch als Partei- und Fraktionsvorsitzender niemand daran, »Diepgen, Haase und Heckelmann zur Brust zu nehmen«, schließlich sei er schon jetzt der Hauptkritiker des Koalitionspartners, brüstet sich Staffelt. Buttgereit ist eine Bedenkenträgerin und Staffelt ein Macher. Für sie zählen Willensbildung, Beteiligung und Strukturen, für ihn handfeste Ergebnisse. Ihre politische Vorstellung orientiert sich an dem Gegensatz zwischen oben und unten, der den zwischen Ost und West dominieren werde. Seine Ausführungen gelten der Sorge, Themen nicht der CDU zu überlassen. Wo Buttgereit referiert, schwadroniert Staffelt. Er kommt an, bei den Parteifreunden in Köpenick und das nicht nur, weil er eine der ihren, Monika Höppner, zu seiner zukünftigen Stellvertreterin ausersehen hat. Die Köpenicker SPDler drücken, wie alle Ostberliner, Probleme, die sie so schnell als möglich gelöst wissen wollen. Ein starker Staffelt verspricht da eher Orientierung und Abhilfe als eine unsicher wirkende Buttgereit, der in mancher Augen zudem der Ruch der Ideologin anhaftet. Die Köpenicker entscheiden sich später am Abend in geheimer Abstimmung zu 83 Prozent für den Fraktionsvorsitzenden. Zu diesem Zeitpunkt halten die beiden Kandidaten bereits in der Kreisvollversammlung der Friedrichshainer SPD die gleichen Reden wie zuvor in Köpenick und antworten auf ähnliche Fragen. Daß das Ergebnis mit 25 zu 20 nur knapp für Staffelt ausfällt, führen Kenner der Szene zum Teil auf das unterkühlte Verhältnis zurück, das die Friedrichshainer Kreisvorsitzende zum Fraktionsvorsitzenden hat. Gleichwohl ist es mehr als ein Achtungserfolg für Buttgereit, denn es ist ihr zum ersten Mal gelungen, in einem Ostbezirk nennenswerten Rückhalt zu bekommen. Die Tempelhofer Kreisversammlung, die dritte Station an diesem Abend, schenkt den beiden Konkurrenten keine sonderliche Beachtung. Auch nach ihrem Eintreffen geht im Sitzungssaal des Rathauses alles seinen sozialdemokratischen Gang. Es werden die Parteitagsdelegierten gewählt, ein ermüdender Vorstellungs- und Abstimmungsmarathon. Der Genosse Ditmar und die Genossin Monika dürfen zwischendurch jeweils zehn Minuten reden.
Im Gegensatz zu ihren Parteifreunden im Osten halten sich die Tempelhofer nicht mit Fragen an die Kandidaten auf, sondern steigen gleich in die Debatte ein. Der Ton ist, »lieber Ditmar, nimm es bitte nicht persönlich«, direkter. Tempelhof ist »sein« Bezirk, hier war er jahrelang Kreisvorsitzender, doch wider Erwarten werden starke Zweifel an der von Staffelt angestrebten Doppelfunktion laut. Eine »Unverschämtheit« und »Bankrotterklärung der Partei« nennen einzelne die Einschätzung, zu ihm gebe es keine Alternative. Monika Höppner erntet für ihren ersten Auftritt in einem Westkreis nur höflich-dünnen Applaus und Schweigen. Erst später, als sie gegangen ist, äußern Delegierte Zweifel an ihrer Befähigung für den Stellvertreterposten. Am Ende des Abends kann Buttgereit in geheimer Abstimmung immerhin 17 Stimmen auf sich vereinen, Staffelts Heimvorteil bringt ihm 52 Stimmen ein.
Die beiden Konkurrenten treten an diesem Wochenende noch in den Kreisversammlungen von Marzahn und Mitte an. In beiden Fällen erzielt Staffelt wiederum sozialistische Ergebnisse. Auch den Wedding und Steglitz, beides Domänen der SPD- Rechten, kann er positiv auf seinem Wahlkampfkonto verbuchen. Nachdem die Hälfte der Bezirke ihr Votum abgegeben haben, weist die Zwischenbilanz einen soliden Vorsprung für Staffelt aus.
Die Distanz wird allerdings schrumpfen, wenn in den nächsten Tagen und Wochen die traditionell linken Westberliner Bezirke, wie Kreuzberg, Schöneberg oder Zehlendorf, ihr Votum fällen. Dieter Rulff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen