: Auch ohne Referendum sitzt John Major in der Tinte
■ Das knappe Ergebnis in Frankreich hat den britischen Euro-Gegnern Auftrieb gegeben: Immer mehr Abgeordnete wollen eine Volksabstimmung
Nachdem die Zitterpartie Frankreichs überstanden ist, sind die europäischen Augen auf Großbritannien gerichtet. Das knappe Ergebnis des französischen Referendums hat den Euro-Gegnern in der Labour Party und bei den Tories starken Auftrieb gegeben. Der Vorsitzende des Tory-Finanzausschusses, John Townend, sagte gestern: „Maastricht ist tot.“ Der Druck der Hinterbänkler auf Labour-Chef John Smith, seine Unterstützung für die Maastrichter Verträge aufzugeben, wächst stetig. Und immer mehr Abgeordnete beider Parteien fordern auch für Großbritannien eine Volksabstimmung — ein Wunsch, den Premierminister John Major bisher rundweg abgelehnt hat.
Doch auch ohne Referendum sitzt Major in der Tinte. Seine Vorgängerin Margaret Thatcher, die zur Zeit auf Vortragsreise in den USA ist, wetzt bereits die Messer. Nach dem Austritt aus dem europäischen Wechselkursmechanismus in der vergangenen Woche triumphierte sie, daß Großbritannien „endlich wieder die Kontrolle über unsere eigene Wirtschaft“ erlangt habe. Thatcher hat im Oberhaus, in das sie nach ihrem Sturz als Premierministerin abgeschoben wurde, eine Reihe ihrer ehemaligen Kabinettsmitglieder um sich geschart. Und auch bei vielen Tory-Abgeordneten im Unterhaus genießt sie nach wie vor hohes Ansehen. Ungewiß ist bisher, wie viele Labour-Abgeordnete gegen Maastricht stimmen werden, doch die Mahnung des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Martin Bangemann, wird eher das Lager der Neinsager stärken. „Wir haben viele der Probleme Großbritanniens in Maastricht gelöst“, sagte Bangemann am Sonntag. „Niemand hat so eine Sonderbehandlung erfahren wie Großbritannien.“ Jetzt müsse Großbritannien „seine Pflicht tun“ und die Verträge ratifizieren.
Doch Major hat seinen Zeitplan bereits geändert. Die Maastrichter Verträge, die dem Unterhaus ursprünglich bereits im November vorgelegt werden sollten, müssen nun bis zum nächsten Jahr warten. Major möchte erst mal abwarten, wie die dänische Regierung die Bevölkerung umstimmen will. Dänemark, das im Januar die EG-Präsidentschaft von Großbritannien übernimmt, hatte die Verträge im Juni ebenso knapp abgelehnt, wie Frankreich sie jetzt angenommen hat. Jetzt streben die politischen Parteien eine zweite Volksabstimmung an. Das ist allerdings ein Drahtseilakt: Einerseits kann man nicht denselben Text wie im Juni zur Abstimmung vorlegen, weil man damit die Bevölkerung für dumm verkaufen würde. Andererseits müssen sich die Änderungen im Rahmen halten, damit die übrigen EG-Mitgliedsländer zustimmen.
Traumergebnis für Dänemark
Für die dänische Regierung war die knappe französische Zustimmung zu Maastricht ein Traumergebnis. Der dänische Ministerpräsident Poul Schlüter sagte gestern: „Die hohe Zahl der Neinstimmen zeigt, daß wir Dänen mit unseren Bedenken gegen den Unionsvertrag absolut nicht alleinstehen.“ Er will Neuverhandlungen mit seinen EG-Kollegen, um gemeinsam über gewisse Modifizierungen der Maastrichter Verträge zu beraten. Über deren Ausmaß hat sich die Regierung bisher nicht geäußert. Die dänischen Sozialdemokraten fordern dagegen folgendes: Keine dänische Beteiligung an der gemeinsamen EG-Währung, keine Teilnahme an einer gemeinsamen EG- Streitmacht oder anderen Erweiterungen der militärischen Zusammenarbeit, keine gemeinsame EG- Staatsbürgerschaft. Im dänischen Parlament soll die Marschroute in Sachen Unionsvereinbarungen nach Beendigung der Sommerpause im Oktober debattiert werden. Wahrscheinlich werden die DänInnen im Sommer 1993 nachsitzen müssen, um ihren „Fehler“ in einem erneuten Referendum auszubügeln.
Vermutlich wird auch John Major die Verträge nur nach weiteren — zumindest kosmetischen — Modifizierungen durch das Unterhaus boxen können. Er hat für Anfang Oktober ein Gipfeltreffen der EG-Regierungschefs in London einberufen, auf dem die Antworten auf die zahlreichen offenen Fragen gefunden werden sollen. Zwar hat das knappe Ja der Franzosen zu den Maastrichter Verträgen die EG vor einer schweren Krise bewahrt, doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Viele Zweifel am weiteren Weg der Zwölfergemeinschaft bleiben bestehen. Ralf Sotscheck
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