: Warten als Passion
■ »Heimliche Hochzeit« — Ein Film des Argentiniers Alejandro Agresti im Kino in der Brotfabrik
Das literarische Konzept sei wasserdicht: Fermin Garcia, ein Opfer des argentinischen Militärregimes, taucht wie durch ein Wunder nach dreizehn Jahren wieder auf und muß ein zweites Mal erfahren, daß die politischen Verhältnisse nicht veränderbar sind. Wieder verfängt er sich in den gesellschaftlichen Intrigen seines Heimatdorfes, und wieder muß er seine Liebste zurücklassen. Das Leben ist ein Kreislauf und die Geschichte das Resultat ständiger Wiederholungen. Die Armbanduhr des Dorfnarren Pipi läßt sich zwar aufziehen, doch hat sie keine Zeiger.
Der seit vier Jahren in Holland lebende argentinische Regisseur Alejandro Agresti arbeitet gern mit solchen Bildern. In den ersten Szenen läuft ein Mann (Fermin) nackt durch die Straßen von Buenos Aires. Die argentinische Polizei greift ihn auf, gibt ihm seine Identität zurück und neue Kleidung, die genauso kalt ist wie die Leiche, der sie gerade ausgezogen wurde.
Ganz effektvoll auch dies: Der Narr Pipi, wie Fermin ein Opfer des folternden Militärregimes, trägt die neueste Umhängetasche von amnesty international. Agrestis Bilder sind interessante Ideen, doch bleiben sie etwas zu effektvoll.
Die gesellschaftliche Creme des Dorfes, ihre festgefahrenen Machtstrukturen und ihre Intoleranz werden im Ansatz überzeugend dargestellt, bleiben aber irgendwo zwischen Klischee und einer konsequenten Typendarstellung stecken.
Überzeugend ist die Liebesgeschichte, der eigentliche Kern des Films. Fermin erfährt auf der Busfahrt in sein Heimatdorf, daß seine Braut all die Jahre auf ihn gewartet hat. Wie wird sie reagieren? Agresti spielt diese klassische Situation geschickt aus: die Kamera zeigt von oben auf die Markise eines Kinos. Fermin ist nur von hinten zu sehen. Tota, seine Verlobte, bleibt verdeckt. Wenige Worte erklären es dann. Sie erkennt ihn nicht. Das Warten ist ihr zur Passion geworden. Fermin beginnt deshalb unter einer anderen Identität, um ihre Liebe zu werben. Es ist eine leise, fast heimliche Liebessprache, mit der Agresti dem Zuschauer eine kleine Tür öffnet.
Die große Tür aber bleibt verschlossen. Die Landschaftsaufnahmen geben wunderbar Stimmungen wieder, und die Farbe ist als Ausdrucksmittel überaus kunstvoll eingesetzt. Eigenwillige Kamerastandorte sollen bewußt irritieren und tun dies auch. Doch die Inszenierung, das Gefühl, durch die Kamera zu schauen, bleibt dem Zuschauer fast durchgehend im Bewußtsein. Nathalie Wozniak
Das Kino in der Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, zeigt »Heimliche Hochzeit« vom 24.-30. September jeweils um 21 Uhr.
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