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Greifbare Finsternis

■ Das Ausstellungsprojekt Dialog im Dunkeln in der Markthalle

in der Markthalle

„Bitte nichts berühren“ - kaum eine Kunstausstellung kommt heute ohne diese Aufforderung aus. Das finden wir dann zwar das eine oder andere Mal sehr schade, aber letztlich geben wir uns mit dem reinen Betrachten der Kunstgegenstände zufrieden. Was aber passiert, wenn eine Ausstellung den Spieß einmal umdreht und gänzlich im Finsteren stattfindet?

So geschehen in dem Ausstellungsprojekt Dialog im Dunkeln, das gestern abend in der „Markthalle“ eröffnet wurde. Drei völlig abgedunkelte Räume bergen unterschiedlichste Installationen, die sich die Besucher nur ertasten können. So simuliert Dialog im Dunkeln eine Erfahrungswelt, die den meisten von uns im Alltag völlig verschlossen bleibt, nämlich die Erfahrungswelt blinder Menschen.

Blinde Menschen sind es darum auch, die die Ausstellungsführungen übernehmen, während die Besucher mit einem Blindenstock zur Orientierungshilfe ausgestattet werden. Was nicht bedeutet, daß es einfach um die Einfühlung in die Not einer Behinderung ginge. Im Gegenteil. Wenn der Weg im Dunklen zuerst durch eine „Naturzone“, dann durchs nachgestellte „Großstadtszenario“, weiter in eine kleine Ausstellung mit Holzplastiken und schließlich ins Cafe „Unsicht-Bar“ führt, dann gerät der ungewöhnliche Ausflug wahrlich zum Abenteuer.

Zuerst, weil die Bangigkeit vor jedem neuen Schritt überwiegt und jede Unebenheit unter dem Fuß im Reflex als etwaiger Abgrund wahrgenommen wird. Dann, weil's beim Tasten, Berühren, Hören und sogar Riechen ganz schön spannend wird. Fast wie in einem aufregenden Kinderspiel tun sich plötzlich Entdeckungen über Entdeckungen auf. Denn während man gewöhnt ist, sich in Sekundenschnelle einen (vermeintlichen) optischen Überblick über die direkte Umgebung zu verschaffen, ist man hier auf einen langsameren, aber auch sinnlicheren Verstehensprozeß angewiesen.

Das gilt genauso für das Experiment beim Gehen mit Sanduntergrund, Wiese oder Asphalt, wie auch später im Cafe, wo Körperkontakt und Unterhaltungen unabdingbar für's Zurechtfinden sind. Die vorübergehende Blindheit kommt nicht zuletzt auch dem Kunsterlebnis zugute: Angesichts der glatten oder rauhen, eckigen oder geschwungenen Plastiken der - blinden - Bildhauer Jiri Hilmar und Mani Annen wird die ästhetische Formensprache im wahrsten Sinne des Wortes „greifbarer“. Dorothea Schüler

Bis 16.10.

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