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Ein Meerschweinchen für den Referenten

■ Kongreß zum Stadterneuerungsprogramm der Senatsbauverwaltung im Haus am Köllnischen Park

Berlin. Die These »Wohnungsneubau ist der beste Mieterschutz« greife zu kurz, überraschte Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) das Publikum gestern auf seinem Stadterneuerungskongreß im Haus am Köllnischen Park. Denn je besser die wirtschaftliche Lage der Stadt sei, desto attraktiver werde sie für Zuzügler, so Nagel. »Wohnungsengpässe werden zu den strukturellen Problemen Berlins gehören wie in allen Großstädten«, meinte der Senator. Folgerichtig ist es denn auch, daß Nagel seine Mittel umschichten will: Statt in den nächsten drei Jahren für 200 Millionen Mark 600 neue Eigenheime zu bauen, werden für das gleiche Geld 4.000 leerstehende Altbauwohnungen instandgesetzt.

Weiter will Nagel in acht großen Stadtgebieten »Entwicklungsmaßnahmen« einleiten, von denen sechs in Ost-Berlin liegen, je eines in Neukölln und in Spandau. Der Planungsmehrwert — also die Grundstückspreissteigerungen, die dadurch entstehen, daß die Gemeinde Grünfläche oder Industriebrache in Wohnungsbauland umwidmet — solle abgeschöpft und in die Infrastruktur des Gebietes investiert werden.

Unterbrochen wurde Nagel von zwei Protestaktionen. Zunächst erklommen Vertreter der Ost-Mieterinititiative »Wir Bleiben Alle« das Podium und schenkten Nagels Referenten Erich Jesse ein braun-weißes, leicht verängstigtes Meerschweinchen — Jesse soll die Initiative zuvor als »Kleintierzüchterverein« bezeichnet haben. Der ehemalige Berliner SED-Chef Günter Schabowski habe mehr Verständnis gezeigt als Nagel, so die Initiative. Die »langzeitbetroffenen« Besetzer aus der Marchstraße/Ecke Einsteinufer forderten vom Senator die Festsetzung eines Bebauungsplanes, der Wohnen vorschreibt.

Mietsteigerungen für die Häuser, die in West-Berlin künftig mit öffentlichen Geldern saniert werden, kündigte der Referatsleiter der Bauverwaltung Dieter Geffers an. Statt derzeit 5,80 Mark den Quadratmeter werde man wohl 6,30 Mark kalt den Quadratmeter nehmen, so Geffers zur taz. Denn diese Mieten seien billiger als die der schlecht instandgehaltenen Altbauten Ost-Berlins. Die Sanierungsgebiete, die im Ostteil der Stadt festgesetzt werden, werden sehr viel kleiner ausfallen als die derzeitigen Untersuchungsgebiete, prognostizierte Geffers weiter. Man habe letztere nur deshalb so groß angelegt, weil das Planungsrecht im Osten fehlte. Ein großes Problem seien die ungeklärten Eigentumsverhältnisse. Bei den Häusern, die Ende 1992 aus der Zwangsverwaltung der Wohnungsbaugesellschaften entlassen werden müßten, investierten die Gesellschaften nichts mehr, die neuen Eigentümer noch nichts.

Über ungeklärte Eigentumsverhältnisse berichtete auch Arno Wegener vom Landesamt für offene Vermögensfragen. Man habe 116.000 Restitutionsanträge für 160.000 »wirtschaftliche Einheiten« bekommen, täglich kämen neue dazu, aber erst 9.000 seien erledigt, so Wegener. Acht von zehn Leuten, die ihr Grundstück zurückbekämen, wollten es sofort verkaufen. Die häufigen Straßenumbenennungen machten die Arbeit schwieriger, zumal man die Vermögensverhältnisse bis ins Jahr 1933 zurückverfolgen müsse. Das zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz, eigentlich als Hilfe gedacht, sei »viel zu kompliziert«, rügte Wegener. Inzwischen sei auch er überzeugt, daß »Entschädigung vor Rückgabe« besser gewesen sei. »Die Bonner Bürokratie ist weit von Berlin weg«, so Wegener.

Was das für die Stadterneuerung bedeutet, führte Hartwig Dieser aus, der das Koordinationsbüro für die Bauverwaltung leitet. In der Spandauer Vorstadt seien 80 Prozent der Grundstücke rückübertragungsbefangen, die meisten der Alteigentümer wohnten nicht in Berlin, müßten aber über alle Vorhaben ständig unterrichtet werden. Viele Alteigentümer seien unentschlossen, ein Viertel wolle ihr Grundstück verkaufen. Nur zwölf Prozent der Alteigentümer wollten öffentliche Förderung in Anspruch nehmen, so Dieser. Eva Schweitzer

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