: Haben KurdInnen kein Recht zu leben?
Das Massaker von Sirnak hat wieder einmal gezeigt, daß die türkische Regierung keinerlei Hemmungen mehr hat, die Bevölkerung Kurdistans offen vor den Augen der Weltöffentlichkeit auszurotten. Was diese angeblich so demokratiche Regierung noch von dem Massenmörder Saddam Hussein unterscheidet, ist allein die Taktik, mit der sie Verhaftungen, Folter, Deportationen und Massenmorde zu rechtfertigen versucht.
Die Parlaments- und Regierungswahlen im Herbst letzten Jahres waren der Auftakt für die neue Vorgehensweise gegen die Bevölkerung in Kurdistan. Demirel Und Inönü präsentierten sich der Welt als die neuen demokratischen Führer, die den Menschen in Kurdistan mit ihrem „Demokratisierungspaket“ die große Freiheit bringen würden. Die großen Versprechungen verführten die Menschen in Kurdistan und die KurdInnen in der Türkei zunächst dazu, daß sie versuchten, ihre „neuen Rechte“ in Anspruch zu nehmen. Dafür wurden sie hart bestraft.
Unter dem Deckmantel der neuen Demokratie, den sie nach außen zeigte, konnte die Regierung nach innen ungehindert eine grausame Vernichtungs- und Vertreibungspolitik vorbereiten.
Die Propaganda für den „heißen Sommer 1992“ begann bereits im Winter. Die neue Regierung erklärte, genau wie Özal jahrelang vorher, die KurdInnen pauschal von der alten Frau bis zum kleinen Jungen zu Terroristen, die das neue demokratische System bekämpfen wollten, und deswegen rechtzeitig „unschädlich“ gemacht werden müßten. Hinter den großen Worten von der neuen Freiheit verstecken sich neue, noch schärfere Repressalien, die einen vorläufigen Höhepunkt in den Massakern an Newroz fanden. Diese Brutalitäten haben in der Bevölkerung so viel Verbitterung hervorgerufen, daß der Wille und der Mut zum Widerstand stärker wurden als zuvor.
Die Regierung nimmt seitdem alle Proteste, jede Demonstration, jede Schließung der Läden zum Anlaß für neue Morde. Die Demonstration um den 15.August wurde mit brutalsten Mitteln niedergeknüppelt, niedergeschossen und niedergebombt. Die Folge sind Hunderte von Toten und eine Massenflucht, die Zigtausende Obdachlose in Verzweiflung treibt. Und die Weltöffentlichkeit schweigt!
Für das neue Deutschland ist noch nicht einmal der wiederholte Einsatz deutscher Panzer und deutscher Waffen einen formalen Protest wert. Und die USA haben andere Interessen. USA spielen „Katz und Maus“ mit Saddam und haben dabei — außer dem Wahlsieg Bushs — das Ziel, die Türkei, die tatsächlich eine Schlüsselposition erlangt hat, in ihrem Expansionsdrang zu unterstützen. Dazu ist den USA jedes Mittel recht. Dafür nehmen die USA auch wieder Hunderttausende neuer Kriegstoter und Flüchtlinge in Kauf. [...] Derya Biyani, 28. August 1992
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