piwik no script img

Und er bewegt sich doch!

■ Das deutsche Daviscup-Team kämpft heute in Essen gegen den Abstieg: Weil Belgien als Gegner uninteressant ist, soll Trainergeplänkel um Niki Pilic das mäßige Zuschauerinteresse ankurbeln

Berlin (dpa/taz) — Saublöd, das Ganze. Daviscup gegen den Abstieg aus der Weltliga, und dann ausgerechnet gegen Belgien. Kennen Sie einen berühmten belgischen Tennisspieler? Eben.

Nicht gerade ein Publikumsknaller, und so hat der Deutsche Tennis- Bund erstmals sichtlich Mühe, die auf 4.500 Sitzplätze reduzierte Essener Grugahalle voll zu bekommen, wenn Michael Stich am Freitag gegen Bart Wuyts eröffnet. Dannach spielt Boris Becker gegen Filip de Wulf, der überraschend den Vorzug vor Eduardo Masso erhielt. Im Doppel treffen Becker/Stich auf Masso/de Wulf, bevor am Samstag zur Abwechslung Becker gegen Wuyts und Stich gegen de Wulf spielt. Kein Hit, beim besten Willen. „In Deutschland hat sich einiges normalisiert“, merkt der Präsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), Claus Stauder.

In der Tat ist Tennis in Deutschland stark inflationsgefährdet. Die Sport-und Fernsehfans sind es langsam leid, stundenlang mit den immergleichen Serve-and-Volley-Dramaturgien der immergleichen Akteure an wechselnden Schauplätzen zugeschüttet zu werden. Auch große Namen sind kein Garant mehr für Begeisterung. Mit Boris Becker und Michael Stich läßt der DTB seine vom englichen Rasen geadelten Paradepferdchen in Essen gegen die belgischen Nobodies antraben. Doch ein Kartenrun ist nicht auszumachen, der Vorverkauf ist zäh.

Unversehens ist die sprudelnde Geldquelle Davis-Cup, die dem Verband in den vergangenen Jahren Millionengewinne beschert hatte, versiegt. Schuld ist die Erstrunden-Niederlage in Brasilien Ende Januar, schimpft der DTB. Den erwarteten Gewinn von 250.000 Mark aus dem Belgien-Match braucht der Verband schon zur Kostendeckung für den verkorksten Trip nach Rio, wo das Deutsche Daviscup-Team dem lautstarken Druck der brasilianischen Fans nicht standhalten konnte.

Wie aber kann man Wind reinbringen in die Essener Veranstaltung? Der alte Davis-Cup-Trick — Schwingen des Banners und Herstellen eines überschwenglichen Nationalgefühls — fällt nach den Ereignissen von Rostock ersatzlos aus. Auch die Rivalität zwischen Becker und Stich ist kein Thema mehr, seit die beiden als Doppel und in trauter Eintracht die olympische Goldmedaille gewonnen haben. Tun wir also das, was immer getan wird, um Spannung, Streit und Intrigen in ein lahmes Szenario zu bringen: Wir stellen die Trainerfrage. „Niki Pilic hat seine Autorität verloren“, schreibt der Spiegel und macht sich über den altmodischen „Tugendwächter mit Bügelfalte“ lustig, der das Team im „Stil eines Pfadfinderführers“ dirigiert und ansonsten „starr wie ein Leguan in der Sonne“ auf dem Trainerstühlchen schlummert.

Der Patriarch mit der Schwäche für die Davis-Cup-Kleinfamilie, den pünktlichen Zapfenstreich und frauenfreie Betten sei für die millionenschweren Jet-Set-Profis nicht mehr zeitgemäß. Schon in Rio wollten die Spieler den beinharten Verfechter von Härte und Disziplin absägen. Allerdings nicht wegen mangelnder Autorität, übergroßer Strenge oder gar Unfähigkeit. Seine rebellierenden Adoptivkinder werfen ihm vor, sich zu sehr um seine Privatgeschäfte zu kümmern und seine Aufgabe als Familienvater zu vernachlässigen.

Der verschlossene Papi ging in sich. „Ich habe mich geprüft, bin aber zu dem Ergebnis gekommen, daß ich meinen Job ziemlich gut mache“, bekannte er gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Auch daß er sich umstellen muß, ist ihm nicht entgangen. Aus den kleinen Buben sind große geworden. „Wir haben jetzt eine andere Konversation.“ Auch die Frauenfrage ist endlich befriedigend beantwortet. Pilic öffnete in Essen erstmals die Zimmertüren für die Spielergefährtinnen. Schweren Herzens, sicherlich, doch im Endeffekt macht der gebürtige Kroate, der nunmehr seit neun Jahren erfolgreich als DTB-Honorartrainer tätig ist, alles für sein Lebensziel Tennis. Selbst eiserne Prinzipien umwerfen. Nur von seinem liebenswürdigen Familientick kann er sich nicht trennen. Nach Essen hat er sogar Eric Jelen eingeladen, obgleich er mit Becker, Stich, Steeb, Markus Zoeke und Bernd Karbacher genügend bessere Spieler zur Verfügung hat. „Eric gehört einfach dazu.“ Punktum.

Wirkliche Aufregung herrscht derweil in der Schweiz: Das Halbfinale von Freitag bis Sonntag in Genf gegen Brasilien ist restlos ausverkauft. Auch in Minneapolis herrscht großes Hallo: Der 56malige Cup-Rekordgewinner USA mit Jim Courier und André Agassi trifft auf Schweden mit dem Weltranglisten-Ersten Stefan Edberg. miß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen