: Das Altmühltal: Beton statt Biotop
■ Wie eine einmalige Naturlandschaft durch den Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals zerstört wurde
Am Gundlfinger Altwasser recken tote Bäume ihre Äste in den Himmel. Ihre Wurzeln sind im gestiegenen Wasser versoffen. Im vergangenen Jahr sind die letzten Blätter abgefallen. Neue werden nicht mehr wachsen. Die abgestorbenen Äste markieren die Uferzonen des ehemaligen Feuchtbiotops. Jetzt breitet sich auf den ehemaligen Uferwiesen eine trübe Wasserfläche aus. An deren neuen Ufern mit dürftiger Vegetation sitzen unverdrossen ein paar Angler.
Das stehende Wasser war einmal Rückzugsgebiet für seltene Pflanzen, ein Paradies für Frösche, Wasserflöhe und den vom Aussterben bedrohten Eisvogel. Ein schmales, schilfumgürtetes Rinnsal verband das Altwasser mit dem Fluß. Die Altmühl mäanderte ruhig durch das tiefe Tal. Alle paar Kilometer wurde ihr Lauf von moosbesetzten Schleusenanlagen mit hölzernen Toren unterbrochen — Reste des bayerischen Ludwigskanals aus der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Außer ein paar Paddelbooten hatte schon seit Jahrzehnten kein Schiff mehr die Altmühl passiert.
Die Gundlfinger Schleuse hat man vor ein paar Jahren mitsamt dem kleinen gelben Wärterhäuschen abgebrochen. Auch die kleine Brücke nach Haidhof fiel dem Dynamit zum Opfer. Die Altmühl ist restlos verschwunden. An ihrer Stelle zieht sich gleichförmig und schnurgerade die neue Wasserstraße entlang. Schotterufer links, Schotterufer rechts, 50 Meter breit. Die Bäume an der Altmühl sind abgehauen. Die Brücke nach Haidhof ist wieder erstanden, dreimal so groß wie zuvor. Das Altwasser: abgesoffen. Der Eisvogel: ausgewandert. Dafür liegt jetzt südlich davon der „ökologische Ausgleichsfläche“ genannte See.
Der Rhein-Main-Donau-Kanal hat im ehemaligen Altmühltal ein ökologisches Desaster hinterlassen. Aus einer der letzten Regionen Deutschlands mit zahlreichen Feuchtbiotopen ist ein Tal geworden, das nahezu ausschließlich durch seine industrielle Nutzung geprägt ist.
Dem Kanalbau mußte sich alles unterordnen. Ob Fluß, Altwasser, Felder, Wege oder Siedlungen: Der Kanal unterbricht und überflutet alles, was ihm im Weg steht. Drei riesige Schleusenanlagen aus Stahl und Beton mit turmhohen Aufbauten sorgen an der Altmühl dafür, daß der Wasserhaushalt im Tal nun menschlichen Gesetzen unterworfen ist. Kurz vor den Schleusen steht — wie in Gundlfing — das Wasser viel zu hoch und ersäuft die Natur, hinter den Schleusen ist es zu niedrig und läßt alles vertrocknen. Das hält kein Feuchtbiotop aus. Weil der Kanal nicht nur als Wasserstraße, sondern auch als Bewässerungsanlage funktioniert, mit dem die wasserarmen Regionen Frankens bedient werden, wird selbst die Flußrichtung der früheren Altmühl bei Bedarf umgedreht: Dann fließt der Kanal flußaufwärts.
Riedenburg war vor zehn Jahren ein altes beschauliches Städtchen. Eine kleine Brücke überspannte die Altmühl und verband die eng an den Berg gerückte Altstadt mit den neueren Häusern auf der anderen Seite des Flusses. An der Uferpromenade mit ihren uralten Eschen spritzte der Schambach in die Altmühl. Unter dem kleinen Holzsteg an der Mündung standen die Forellen.
Heute überspannen zwei große Brücken den Kanal. Der Wasserspiegel ist um drei Meter abgesackt, die Eschen sind verschwunden. Damit der Schambach noch seinen Weg in die ehemalige Altmühl findet, haben die Landschaftsplaner einen Wasserfall konstruiert. Von dort ergießt sich der Bach in einen künstlichen Stadtweiher, der wiederum in den Kanal fließt. Forellen gibt es darin nicht mehr.
Dafür aber nebenan einen Hafen. Die Kaimauer wäre groß genug für Kreuzfahrtdampfer, doch hier stoppt nur die „Walhalla“, ein Ausflugsboot aus Kelheim. Weil der Kanal rund zwanzig Meter vom alten Ufer entfernt verläuft, ist jetzt Platz für eine Uferstraße. Zwischen ihr und der Wasserstraße werden auf alt getrimmte neue Häuser errichtet. Herr Scheck, Besitzer eines Cafés mit Dachterrasse, guckt nicht auf den Kanal sondern in die Röhre: Stand sein Lokal früher am Fluß, so liegt es jetzt mitten im Ort. Riesenburg ist kaum mehr wieder zu erkennen.
Es ist nicht nur der Kanal selbst, es sind auch die gigantischen Straßenprojekte, die das Tal verschandelt haben. Nach Untereggersberg, einem 200-Seelen-Dorf, gelangte man früher über einen wackligen Holzsteg, an dessen Geländer ein Brückenheiliger aus Blech geheftet war. Jetzt überquert eine gigantische Pylon-Brücke den Kanal. In Meihern das gleiche. Der Kanal hat den Fortschritt ins Tal gebracht, und der heißt Beton.
Halt. Es gibt auch einen neuen Radwanderweg, der am Kanal entlang führt. Im Hochsommer herrscht da Kolonnenverkehr wie auf einer Autobahn. Und man darf auf der Wasserstraße Motorboot fahren. Ganz langsam nur, wegen der Ökologie. Fische gibt es auch noch. Die Rhein-Main-Donau-AG hat sich nicht lumpen lassen, und den Bestand aufgefüllt.
„Des lumpige Brennessel-Gewächs kummt endlich weg“, so freute sich eine Riedenburgerin vor Jahren auf das Projekt. Was sie wohl nicht bedacht hat: Auch ihr Kleingarten versank in der Betonrinne. Klaus Hillenbrand, Riedenburg
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