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Geschichte geprobt

■ »Der Spielverderber« — eine Operette von 1942 in der Neuköllner Oper

Spätestens seit einer Woche wissen wir es: Revue-Aufgüsse aus den vierziger Jahren sind wieder gefragt, wenn sie nur der Unterhaltung dienen. Die UFA-Revue im Theater des Westens bestätigt es. Eine oberflächlich eingebaute kritische Distanz mußte ihr genügen.

Ganz anders die Neuköllner Oper: Mit ihrer Uraufführung Der Spielverderber — Melodram 1942 ist ihr eine wirkliche Analyse nationalsozialistischer Operettenrevuen gelungen. Ausgangspunkt ist eine Inszenierung des Metropol-Theaters im Jahr 1942: Hochzeitsnacht im Paradies von Friedrich Schröder. Das Einstudieren dieser Operette wird anhand fiktiver Personen nachgespielt — kritisch distanziert nachgespielt: Nicht um die Schuld historischer Personen geht es, sondern um unsere eigene Anfälligkeit, uns einem Regime anzupassen und es mitzutragen. Daß auch Joseph Goebbels ein Verhältnis mit der Schauspielerin Lida Baariva hatte und Zarah Leander die Exportgenehmigung für ihre Möbel bei einem Wettrinken gewann: das sind Parallelen, die man wahrnimmt, mehr nicht. Es geht um den mittelmäßigen Regisseur, der sich aus mangelnder Courage bereitwillig der herrschenden Meinung unterwirft, um seine ehrgeizige Frau, der es nur um die Karriere geht: um eine ungarische Sängerin, die für Geld in Nazideutschland singt und einem schwulen Theaterautor Müller, der so lange davon träumt, »nur Ruhe zu haben, Ruhe, um Gedichte zu schreiben — über Blumen«, bis er von der SA abgeholt wird.

Es ist ein heikles Unternehmen, dieses Thema mit den Mitteln einer Operettenrevue zu analysieren. Doch die Gratwanderung zwischen purem Kitsch und moralischem Zeigefinger ist gelungen. Die verwendeten Liedertexte sind zwar meistens penetrant biedermeierlich und ihre Melodien als Ohrwürmer auch noch unangenehm eingänglich. Doch die Probensituation macht es möglich, beides ironisch zu verarbeiten. Wenn die importierte Sängerin Lana dem NS-Minister erotisch zuflüstert: »Ich möchte mein Herz in deine Hände legen«, bleiben einem jedem, der eigentlich mitswingen möchte, die Beine zu Stein erstarrt.

Ein bissiger Einfall auch dies: Der Autor Müller und der Pianist rätseln über den Text für das Finale. Letzterer liest in der Tageszeitung und hat eine Idee. Die Todesanzeigen gefallener Soldaten liefern schließlich die Vorlagen für das große Liebesfinale in Venedig, wo sich das Paar in einer Gondel wiederfindet: »Alle Wege führen mich zu dir, unserem Schicksal können wir ja nicht entgehen.«

Musikalisch hat Winfried Radeke ein Kunststück vollbracht. Für nur vier Flügel wurden etwa 25 Operettensongs von Friedrich Schröder so bearbeitet, daß sie einen schlüssigen Handlungsspielraum und mehrere Interpretationsebenen bieten. Vor allem aber hat Radeke die Melodien keineswegs nur als Ohrwürmer behandelt, sondern ihren Qualitäten nachgespürt. Es sei für ihm, den an klassischen Komponisten geschulten Arrangeur die gleiche Herausforderung, sich einer Erfindung einfühlsam und voller Respekt zu nähern, stamme sie nun von Mozart oder Schröder, schreibt Radeke im Programmheft.

Will die Neuköllner Oper also ein zweites Mal in Schönheit sterben? Radekes Drohung, zum Sommer 1993 zu kündigen, wenn es zu keiner Erhöhung des Etats kommt, gilt. Was bleibt dann in Berlin? Etwa die UFA-Revue? Nathalie Woznika

Heute, Karl-Marx-Straße 131-133, 20 Uhr

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