: Gönnenweins Endspiel
Ein Stück aus der schwäbischen Provinz ■ Von Christian Gampert
Melde gehorsamst: Generalintendant nun endgültig verrückt geworden. Wolfgang Gönnenwein, 59, will aus persönlichen Gründen ein Theater schließen. Alle Welt redet von „schwieriger Finanzlage“, „Unterfinanzierung“ der Baden-Württembergischen Staatstheater und so weiter. Die Wahrheit ist: Der Mann, der sich von seinem Kumpel Lothar Späth zum Staatsrat machen ließ, hat den Überblick verloren. Mit einer letzten dramatischen Geste will Wolfgang Gönnenwein das Stuttgarter Kammertheater dichtmachen, um von seinem eigenen Versagen abzulenken. Er will lieber das Publikum bestrafen, als selbst die Hosen herunterzulassen.
Steigen wir für einen Augenblick hinab in die Sümpfe der Kulturbürokratie: Es begab sich einst, daß der notorische Spesenritter und Erotikurlauber Lothar Späth seinen Bekannten, den Herrn Chorleiter Wolfgang Gönnenwein, für das Amt des Generalintendanten der Baden- Württembergischen Staatstheater zu Stuttgart gewann. Der passionierte Dirigent war zwischen Backnang, Tokio und Gammertingen ein Begriff. Gönnenwein, im Umgang mit einem riesigen Dreispartenhaus gänzlich ungeübt, häufte jährlich massive Schulden an — immer in der Gewißheit, daß Onkel Späth das Ganze per Nachtragshaushalt schon in Ordnung bringen werde. Zum Teil bemerkte er die Schulden gar nicht mehr. Vor allem kam er nie auf den Gedanken, daß eines fernen Tages sein Freund Lothar Späth nicht mehr Ministerpräsident, sondern Erntehelfer im fernen Osten sein könnte. Das war ein Fehler.
Der erste Warnschuß kam, als 1989 das sogenannte „Fabritius- Gutachten“ die generelle Funktionsuntüchtigkeit der Württembergischen Staatstheater feststellte. Gönnenwein, der sich in der Öffentlichkeit nun immer wie Wieland Wagner die Haare raufte, focht dies nicht an. Er machte weiter wie bisher. Als Lothar Späth gehen mußte, dachte Gönnenwein ein Jahr nach. Dann engagierte er Hans Tränkle, den schlauesten Theatermanager der Republik, als „Geschäftsführenden Direktor“. Der sollte mal nachrechnen, wieviel Schulden inzwischen so aufgelaufen seien. Tränkle kam auf fünf Millionen.
Seitdem redet man, wenn man überhaupt über die Stuttgarter Staatstheater redet, über die „Bugwelle“. So nennt Gönnenwein seine Außenstände. Will sagen: viel Verdrängung bei wenig Bewegung. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wollte dem Wellenbad nun nicht länger zusehen: Am 20. August filzte ein Polizeitrupp das Büro des Generalissimus, während der gerade die „Zauberflöte“ probte. Verdacht der Ermittlungsbehörden: „vorsätzliche Haushaltsuntreue“ (Gefängnis bis zu fünf Jahren). Gönnenwein habe jahrelang vom Etat nicht gedeckte Gelder ausgegeben.
Nun ist das Schuldenmachen im Spätkapitalismus, jeder Unternehmer wird das bestätigen, eine betriebswirtschaftlich bisweilen sinnvolle Tätigkeit. Die Staatstheater aber sind keine private Firma: sie geben nur Steuergelder aus. Was nicht da ist, kann nicht verbraucht werden. Chorleiter Gönnenwein hat das nicht kapiert. Er hat auch keinen Schimmer, wie er seinen Karren aus dem Dreck ziehen könnte. Wir erlauben uns, zwei Vorschläge zu machen. Eins: Intendant steht hin und fordert mehr Kohle bei der Landesregierung, trotz angespannter Haushaltslage. Gönnenwein tut das nicht, denn weder kann er begründen, warum man überhaupt Kunst braucht, noch hat er irgendwelche Druckmittel in der Hand. Wenn, sagen wir mal Peter Stein von Bord geht, dann heult ganz Berlin. Wenn Gönnenwein den Mund aufmacht, dann lacht der ganze Landtag. Er ist einfach eine Altlast, die Lothar Späth hinterlassen hat, ein Püppchen, mit dem man noch ein bißchen Kasperle spielt.
Zweiter Vorschlag: Gönnenwein versucht tatsächlich zu sparen in seinem Theater. Wir denken nicht gerne über diese Variante nach. Solange die Entwicklung des sogenannten „Jäger 90“ täglich eine Million Deutschmark kostet, solange dubiose „verdeckte Ermittler“ im Auftrag der Landesregierung die alternative Szene ausspionieren, Drogenabhängige zu Straftaten animieren und die Spielhöllen von Minister- Spezis schützen, so lange mag Axel Manthey für seine Bühnenbilder soviel Geld verbraten, wie er eben braucht. Andererseits weiß jeder, der je länger am Theater war, daß nirgendwo sonst so chaotisch gearbeitet wird wie eben dort, daß der Assistent monatelang um ein Requisit bettelt, während die Techniker Auszeit haben. Das Teuerste am Stuttgarter Staatstheater ist aber ein riesiger technischer Betrieb und ein egoman aufgeblasener Verwaltungsapparat. Ehe der Intendant auch nur eine Spielstätte schließt müßte er den Konflikt mit den mächtigen Gewerkschaften suchen. Dazu aber hat er keinen Mumm: er ist feige.
Denn, hier sind wir ausnahmsweise gewerkschaftsfeindlich: jede Probe dieser Welt ist beendet, wenn die Technik nach Hause geht. Im deutschen Theater gelten Arbeitszeiten wie bei der Müllabfuhr. Auch der Orchestermusiker legt mit Beginn seiner sogenannten Ruhezeit den Bogen aus der Hand, um mit dem nächsten Privatschüler Kohle zu machen. Hunderte unterbeschäftigte Sekretärinnen schicken hunderttausend müden Abonnenten musikwissenschaftliches Hochglanzgelaber zu, welches sofort im Papierkorb landet. Gönnenwein: „Die Portokasse ist das Teuerste.“
Eine Lösung wäre nun, auch den Generalintendanten aus der Portokasse zu bezahlen. In Stuttgart favorisiert man ein anderes Modell: Die Staatstheater sollen zur GmbH werden. Da kann man einerseits nach Herzenslust Schulden machen, andererseits die Techniker und Sekretärinnen je nach Laune heuern und feuern. Auch das, finden wir, darf nicht sein. Statt aber die Notwendigkeit eines durch ausreichende Subventionen unabhängigen Theaters gegenüber den Landespolitikern zu verteidigen, statt sich vor seine Leute zu stellen und für sie zu kämpfen, knickt Gönnenwein vor der Macht ein: In vorauseilendem Gehorsam will er das Kammertheater dichtmachen (und später wohl noch mehr).
Das heißt zweierlei: Ihm fällt nichts mehr ein, und das Publikum soll drunter leiden. Bei einer bestimmten Sorte Zuschauer hat Gönnenwein sogar Erfolg: Der Frankfurter Theaterkritiker Gerhard Stadelmeier, wie immer um Originalität bemüht, begrüßte die Schließung des Kammertheaters schärfstens, weil er sich persönlich dort immer unwohl fühlte. Statt dessen verfaßte Stadelmaier eine Eloge auf Peymann, der seine Werkstattabende immer unterm Dach gemacht habe und nicht an einem solch „scheußlichen Ort“ — eine Eloge, bei der man sich fragt, wie es wohl in Stadelmaiers Dachstübchen aussehen mag.
Ich habe die postmoderne Coolness des Kammertheaters auch nie sonderlich gemocht. Aber hier geht es um mehr als um einen Spielort: hier geht es um eine grundsätzliche Solidarität zwischen Theatermachern und Publikum. Wegen läppischer drei Millionen Mark Ersparnis ein Theater zu schließen ist ein Hohn und eine Kriegserklärung. Sie liegt auf dem Intelligenzniveau des baden- württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel, der neuerdings Teilnehmer an Sitzstreiks mit den Brandstiftern von Rostock auf eine Stufe stellt: in Stuttgart sollen wieder alle Katzen grau sein. Die Orte gesellschaftlicher Reflexion werden geschlossen. Das Theater ist ein solcher. Und im Parlament nebenan säuseln die „Republikaner“.
Friedrich Schirmer, künftiger Stuttgarter Schauspieldirektor, soll das Endspiel der Schließungen mitmachen und eine Million weniger für seine Schauspieler bekommen — wenn er kein Selbstmörder ist, läßt er Stuttgart rechts liegen. Und Abwickler Gönnenwein, nominell Generalintendant? Ach, er deliriert noch ein bißchen. Lassen wir ihn auf seinem Stühlchen. Was er dort macht? Seit Jahren dasselbe: „das künstlerische Niveau halten“. Eine wundervolle Lebensaufgabe.
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