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Kein Politikerehrgeiz

■ Interview mit der chinesischen Dissidentin Dai Qing

Im Mai diesen Jahres erhielt Dai Qing den von der Internationalen Verlegervereinigung gestifteten Preis „Goldene Feder“. Im Juni kehrte sie nach Peking zurück. Aus Anlaß der Preisvergabe in Prag sprachen Chantal de Casabianca und Robert Ménard mit der chinesischen Schriftstellerin.

Casabianca/Ménard: Soviel wir wissen, sind mindestens 24 chinesische Journalisten in Haft. Können Sie das bestätigen?

Dai Qing: Ich habe keine genauen Zahlen und Namen. Aber wenn man bedenkt, mit welcher Härte in einigen Gegenden Chinas auf die Ereignisse von 1989 reagiert wurde, ist es absolut wahrscheinlich, daß sehr viele Journalisten auch ohne unser Wissen im Gefängnis sitzen. Die Haftbedingungen sind sehr, sehr schlecht. Ich kenne zwar keinen Journalisten, der direkt in der Haft gestorben ist, aber einer meiner Kollgen starb unmittelbar nach seiner Freilassung. Schuld waren die Haftbedingungen.

Es gibt keinen unmittelbaren Zwang für Sie, nach China zurückzukehren. Aus welchen Gründen haben sie beschlossen, zurückzugehen?

Als ich im Dezember letzten Jahres mein Visum für die USA bekam, hatte das nichts mit einer Flucht aus China zu tun. Eine US-amerikanische Stiftung hatte mir ein Stipendium zur Fortbildung in den USA gewährt. Wissen Sie, ich habe mich einfach entschieden, Journalistin zu sein und in meinem eigenen Land zu arbeiten. Und außerdem leben dort die meisten meiner Freunde.

Können Sie veröffentlichen?

Aber nein, natürlich nicht. Keine meiner Arbeiten darf publiziert werden, man darf mich nicht einmal zitieren. Aber das ist kein Grund, nicht weiterzuarbeiten und Material für zukünftige Arbeiten zu sammeln.

Ist Ihre Prominenz im Ausland ein Schutz für Sie zu Hause?

Ja und nein. Einerseits gewährt es einigen Schutz, andererseits zeichnet es mich auch unmißverständlich als ,Feind der Regierung‘.

Wie sieht Ihr Alltag aus?

In den Straßen folgt man mir, mein Telefon wird abgehört, die Polizei ,besucht‘ mich regelmäßig ... Im Laufe der Zeit ,befreundete‘ ich mich sogar mit dem Polizeibeamten, der für meine Überwachung verantwortlich ist. Seine Berichte waren nicht allzu unfreundlich, und deshalb kann ich, zumindest zur Zeit noch, in Peking wohnen bleiben.

Sie haben den Preis aus den Händen von Jiri Dienstbier entgegengenommen. Er ist heute stellvertretender Premierminister der Tschechoslowakei und war auch einmal Dissident wie Sie. Bringt Sie das auf neue Gedanken?

Ich habe absolut keinen Ehrgeiz, Politikerin zu werden. Denken Sie daran, Veränderungen dauern in China sehr lange...

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