piwik no script img

Wenn Kasper fliegt ...

■ Pina Bauschs Gastspiel mit Two Cigarettes In The Dark auf Kampnagel machte das Publikum hungrig auf mehr aus Wuppertal

auf Kampnagel machte das Publikum hungrig auf mehr aus Wuppertal

Links in der Wand gleiten Fische durch ein Aquarium, gegenüber ist hinter Glas Sand aufgeschüttet. In der Hinterwand des weißen weiten Bühnenraums erst findet der Blick Halt in einem Terrarium, einem Dschungel aus exotischen Zimmerpflanzen, Farnen und Palmen. Großbürgerlich und aseptisch wirkt der von Peter Papst entworfene Raum für Pina Bauschs Tanztheaterabend Two Cigarettes In The Dark, widernatürlich die Ausstellung natürlich scheinender Lebensräume in marginalen Schaufenstern.

Lange haben die Hamburger auf ein Gastspiel des Wuppertaler Tanztheaters gewartet, am Wochenende nun zeigten elf Tänzerinnen und Tänzer ein wiederbelebtes Kammerstück von 1985 in der Kampnagelfabrik. In der leeren Wohlstandswüstenszenerie tritt Mechthild Grossmann vor die Leute und heißt sie im feinen Abendkleid mit kehlig-rauchiger Stimme willkommen: „Kommen Sie ruhig rein, mein Mann ist im Krieg.“ In der strahlenden Sauberkeit des Raums aber herrscht Krieg. Helena Pikon beginnt zu einem laut aufbrausenden Choral eine Waschorgie, reibt sich rasend den Körper ab, wie um aus der Haut zu fahren. Dominique Mercy kreuzt auf, lesend vertieft, als wolle er nicht gesehen werden. Sie wendet sich ihm, der nicht aufblickt, zu. Mit Anlauf wirft sie sich gegen den Versunkenen, schleudert ihn durch die Wucht ihres Körpers gegen die Wand, will die Berührung brachial, doch Mercy liest weiter, und nach den Bodychecks bricht die Frau in wimmerndes Schluchzen aus.

Doch entbehrt gerade Two Cigarettes In The Dark, das schon bei seiner Premiere vor sieben Jahren als eines der heiteren, leichteren Werke der Tanzrevolutionärin Bausch aufgenommen wurde, nicht der Komik, die besonders die Komödiantin Mechthild Grossmann, Jan Minarek, ein ernster Spaßmacher von trockener Komik und absurdem Humor, und Jakob Andersen, der einen Kasper und das Fliegen versucht, ins Spiel bringen. So zappelt sich Andersen in großer tragischer Albernheit durchs Bild, springt, die Glieder um sich werfend, mit komischer Ungeschicklichkeit hierhin, dahin, die verzweifelte Mühe des Kaspers zeigend, der mit Lustigkeit einem Schrecken aus dem Weg hüpfen will.

Pina Bausch entwickelt ihre Stücke aus Fragen und Aufgaben, die sie stellt, und aus den Antworten, die das Ensemble darauf sucht - Aufgaben wie „sich vor jemanden erschrecken“ oder „jemanden anspringen, aber mit zugehaltener Nase - als wenn man ins Wasser springt“. Die Fundstücke, die ihre Tänzerinnen und Tänzer während der Proben aus ihren Erfahrungen, ihrem Bewegungsfundus und aus ihren Seelen kramen, setzt Bausch zu jenen starken Bildern zusammen, die ihre Sprache des Tanztheaters in aller Welt verständlich macht, und um sie lesen zu können, muß auch der Zuschauer sein Herz gebrauchen. Eine Pina-Aufgabe könnte lauten: „Nicht genug kriegen und nicht wissen, wie man mehr bekommt“ - zum Beispiel in Hamburg Tanztheater von Pina Bausch. Julia Kossmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen