: Appetitzügler statt Tranquilizer
■ 1. FC Nürnberg-Uerdingen 2:0 (0:0)/ Der „Club“ verpaßte in der zweiten Halbzeit ein Schützenfest gegen die schwerfälligen und schläfrigen Krefelder
Nürnberg (taz) — Weniger wäre mehr gewesen: Getrost hätte Schiedsrichter Harder aus Lüneburg die erste Halbzeit ausfallen lassen können. Was da die 22 Mannen auf dem Rasen des Frankenstadions den 24.000 Zuschauern boten, war nicht einmal den Schüler-Eintrittspreis wert. Dabei hatte alles so gut angefangen. Nürnbergs Willi Entenmann, sonst eher ein Trainer, der auf Nummer Sicher geht, hatte den „Club“ offensiv aufgestellt. Es sollte Schluß sein mit dem Minimalfußball, der in sieben Spielen zwar nur vier magere Törchen, aber dafür sieben Punkte beschert hatte. Und das, obwohl der Club vor der Saison als Absteiger eingestuft wurde, nachdem Sergio Zarate (Ancona), Martin Wagner (Kaiserslautern) und André Golke (Stuttgart) aus finanzieller Not verkauft werden mußten.
Tore sollten gegen den Aufsteiger aus Krefeld geschossen werden, deshalb durfte im Sturm neben Uwe Rösler und Dieter Eckstein zum erstenmal der Argentinier Sergio Bustos der Fangemeinde zeigen, was in ihm steckt. Nach seinen Kabinettstückchen und den langen Haaren zu urteilen, könnte der 19jährige aus Buenos Aires ein würdiger Nachfolger von Publikumsliebling Sergio Zarate werden. Bustos hätte in seinem ersten Spiel sogar zum Matchwinner werden können, wenn, tja wenn nicht Bayer Uerdingen der Gegner gewesen wäre.
Der Aufsteiger zeigte sich seines Namenspatrons würdig und spielte, als hätten die Kicker gleich pfundweise Tranquilizer geschluckt. Die Stürmer trabten schwerfällig über das Spielfeld — ein paar Pfunde zuviel sollen ja nicht unnötigerweise bewegt werden — und auch die Abwehr beeindruckte eher durch Leibesfülle als spielerische Qualität. Ob es nur an den unvorteilhaften engen einfarbig-weißen Trikots der Uerdinger gelegen hat? Gewichtsangaben fehlten in der Mannschaftsaufstellung. Wir fordern: Appetitzügler statt Tranquilizer!
Hätte dies alles nur die Krefelder betroffen, wären für den Club genügend Chancen herausgesprungen, um in der ersten Halbzeit endgültig das Stigma des Minimalisten abzustreifen. Aber der Uerdinger Schlafwagenfußball lullte die Nürnberger ein, zumindest ab der 25. Minute. Da stand Sergio Bustos plötzlich bei einem Konter mutterseelenallein vierzig Meter vor dem Tor dem Uerdinger Keeper Bernd Dreher gegenüber und drosch vor lauter Verblüffung den Ball in die Wolken. Den Rest der ersten Hälfte könnte man getrost als hundsgemeine Folter bezeichnen. Uerdingens Trainer Friedhelm Funkel wußte die Tortur gar noch in Worte zu fassen: „Wir haben dem Club wenigstens das Leben schwer gemacht.“
Das sollte sich nach der Pause ändern. Der 1. FC Nürnberg machte enorm Druck, schon in der 48. Minute konnte Eckstein zeigen, wie man einen Ball aus zwei Metern Entfernung locker neben das Tor setzen kann. Mit der Einwechslung des Jokers Christian Wück und den rhythmischen Anfeuerungsrufen „Kämpfen, Nürnberg, kämpfen“ ging es endgültig aufwärts. In der 63. Minute war es soweit. Ein Abwehrspieler, wer sonst aus dem Minimalistenkreis, durfte den erlösenden Führungstreffer erzielen. Thomas Brunner staubte nach einem Freistoß von Dorfner ab. Von der 69. Minute an konnten zunächst dreimal kurz hintereinander Bustos, dann Kramny, dann Kurz, dann wieder Kramny, dann Eckstein, dann Dorfner und dann noch einmal Kramny beweisen, daß es doch nicht so leicht ist, den Ball allein vor dem Tor stehend in selbiges zu befördern. Wäre Dorfner in der 85. Minute nicht nach einem Konter das 2:0 gelungen, Trainer Willi Entenmann hätte sich vor lauter Kopfschütteln über die vergebenen Chancen einen Krampf in der Halsmuskulatur zugezogen.
So konnte er gelöst zur Pressekonferenz erscheinen und die „tolle Leistung“ seiner Jungs rühmen. „Wir müssen in Zukunft besser spielen, erfolgreicher spielen können wir gar nicht“, gab er die Quintessenz seiner Minimalphilosophie zum besten. Nur eines macht dem wackeren Schwaben Probleme: „Ich frage mich selber, was können wir leisten, wenn wir mal gut spielen.“ Solcherlei Befürchtungen braucht er derzeit jedoch nicht zu hegen. Bernd Siegler
Uerdingen: Dreher - Peschke - Rahner, Gorlukowitsch - Paßlack (22. Posch), Krümpelmann (65. Laessig), Jüptner, Kutschera, Kranz - Sassen, Bremser
Zuschauer: 24.200; Tore: 1:0 Brunner (63.), 2:0 Dorfner (85.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen