: Feuer aus dem Graben
■ Zur Eröffnung der Ära Heyme: Verdis „Simon Boccanegra“, fürs Bremer Theater inszeniert von Terry Hands
Am Sonntag abend öffnete Heymes Theater seine Pforten mit Verdis Simon Boccanegra. Damit das Premieren-Publikum auch erfahre, daß eine neue Ära beginnt und was das Theater uns überhaupt zu bedeuten habe, ergriff vorher noch die Kultursenatorin das Wort; durch solche Gebrauchsanweisung gewitzigt, ging's hinein in des mittleren Verdi große Historien-Oper.
Verdi als Start in eine neue Ära des Bremer Theaters? Warum nicht, steht doch sein Name für das Spannungsfeld, in dem sich das Musiktheater bewegt: Tradition und Fortschritt, Perfektion und Schlamperei, Volkstümlichkeit und höchster künstlerischer Anspruch, Fest der Stimmen und Regietheater, Revolution und politische Vernunft.
Verdi zur Eröffnung kann deshalb durchaus als Heymes Versprechen angesehen werden, großes durchglühtes und provokatives Musiktheater zu machen, quer zum kunsthandwerklichen Design, das die Opernbühne der 90er Jahre beherrscht. Eingelöst haben dieses Versprechen allerdings nicht Regisseur Terry Hands und sein Ausstatter Johan Engels auf der Bühne, eingelöst hat es Marcello Viotti mit dem Philharmonischen Staatsorchester im Graben.
Verdis noch nicht vom „Spätstil“ angekränkelte Partitur versammelt all die Klänge des musikalischen Italien: das aggressive
Vom schwer entflammten Orchester unter Marcello Viotti gerettet: Simon Boccanegra am Bremer TheaterFoto: Jörg Landsberg
Humtata der Blaskapellen auf der Straße, die sentimentalen Canzonen der Taverne, das hohe Pathos von Haupt- und Staatsak
hierhin bitte
das Theaterfoto
mit prunkvoller Bühne
tionen werden zu bemerkenswert klar durchkonstruierten musikalischen Szenen zusammengefaßt. Aus rationaler Kon
struktion und emotionaler Er- hitzung entsteht der Rohstoff für das von Alexander Kluge so gepriesene „Kraftwerk der Ge
fühle“.
Viotti mißt mit seinem Orchester die gesamte Spannbreite der Partitur aus. Dabei steht ihm ein Sängerensemble zur Verfügung, das aufhorchen läßt: Ron Peo als Simon und David Hibbard als Fiesco sind dem musikalischen Geschehen sonore Stützen, deren gewichtiger, hochpolitischer Ton beim Einbruch des Privaten in die Männerwelt auf das Zarteste dahinschmilzt. Mihai Zamfir als Adorno steuert sein leicht angerauhtes tenorales Gold bei, und Rebecca Turner als Amelia findet nach anfänglichen Schwierigkeiten, umschifft mit viel Vibrato, zu bezwingenden Spitzentönen. Etwas im Hintergrund bleibt Albert Dollin als schurkiger Intrigant.
Die aufgeheizte musikalische Aktion schließt den Hörer auf für die politische Botschaft: Frieden nach innen und außen. Der Beitrag der Bühne dazu ist eher blaß, sieht man vom matt glänzenden, mit erlesenen Farben spielenden Bühnenbild ab. Im kargen, aber edlen Design, welches das Geschehen ins „Kosmi- sche“ weiten will, beschränkt sich die Regie im wesentlichen auf das Arrangement von Genrebildern. So entstehen durchaus attraktive und fesselnde (etwa im Finale des ersten und zweiten Aktes), aber auch ermüdende, nichts als schöne Tableaus. Dazwischen herrscht gähnende Leere, aufgefüllt mit Versatzstücken aus dem Opernmuseum.
Wir begegnen dem gramgebeugten, von Magengeschwüren gebeugten Weisen, dem verschlagen um sich lugenden Verräter, dem störrischen Edelmann, der durch Verzeihen zur wahren Größe findet, dem sich im dramatischen Geflecht verirrenden Liebhaber und der reinen, aber entschlossenen Jungfer (Heirat oder Tod!). Sie alle fassen sich ans Herz, recken empathisch die Arme, sinken zerknirscht zu Boden und blicken versonnen in die Ferne. Zuweilen umgibt sie dabei der Chor, der seinen musikalischen Part prima meistert, dessen Männer aber bei Erregung unweigerlich die Schwerter zücken und dessen Damen Kerzlein vor sich her tragen. Der flammende dramatische Appell Verdis verflacht so zum Oratorium.
Gemischte Gefühle also begleiten den Opernfreund auf dem Heimweg. Doch gibt er die Hoffnung nicht auf, daß das Feuer im Orchestergraben auch einmal auf die Bühne übergreifen könnte. Mario Nitsche
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen