: Neue Löcher in Schweizer Alpen
Beim Volksentscheid in der Schweiz stimmten am Wochenende mehr als 60 Prozent für zwei Eisenbahntunnel/ Teuerstes Projekt der Schweiz ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) — Der Schweizer Verkehrsminister Adolf Ogi atmet auf: die Bagger für mehr als 80 Kilometer Eisenbahntunnel können bestellt werden. Am Wochenende haben 63,5 Prozent der WählerInnen dem größten Bauprojekt, das der Alpenstaat je in Angriff genommen hat, ihr Ja gegeben.
Das Referendum zur „neuen Eisenbahn-Alpentransversale“, kurz NEAT genannt, hatte die Schweizer Regierung in den letzten Wochen zu einem wahren Propagandafeldzug veranlaßt: auf dem Spiel stand die Einbindung des Landes in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWS). Im Transitvertrag mit der EG hatten sich die Eidgenossen nämlich verpflichtet, eine 50 Kilometer lange Eisenbahnröhre unter dem Gotthard und eine weitere Röhre von fast 30 Kilometern unterm Lötschberg zu bohren, durch die nach offiziellen Angaben im nächsten Jahrtausend täglich 550 Züge brausen sollen. Dafür erhielten sie die Zusicherung, daß täglich lediglich einhundert 40-Tonner aus der EG über ihre Grenzen kommen und ansonsten die Schlagbäume nur für 28-Tonner geöffnet werden müssen.
Wer für Nein stimme, gefährde die Integration der Schweiz in Europa, drohte die Regierung und mit ihr alle großen Parteien, die Wirtschaftsverbände und selbst die Automobilclubs. Fuhrunternehmer und die Swissair würden diskriminiert — vielleicht Schlimmeres. Aber auch mit Positivargumenten sollte den SchweizerInnen die Zustimmung schmackhaft gemacht werden. „Die NEAT ist das wirkungsvollste Umweltprojekt der heutigen Zeit“, hatte Ogi den SchweizerInnen weiszumachen versucht.
Diese Einschätzung wird von Umweltschützern keineswegs geteilt. Sie sehen darin nicht nur eine „Opfergabe an den Mobilitätswahn“, der den anschwellenden EG-Güterverkehr flüssig halten soll und oft eine räumliche Arbeitsteilung erst möglich macht. Vor allem entziehen die Milliardenprojekte der Staatskasse viel Geld, das umwelt- und verkehrspolitisch wesentlich sinnvoller angelegt werden könnte. Studien belegen, daß eine Datenbank zur Vermeidung von Leerfahrten und eine Erneuerung des Bahn-Wagenparks die CO2-Bilanz entschieden schneller positiv beeinflussen könnten als die Tunnel, die zudem erst 2010 fertig sein sollen.
Aber auch von konservativer Seite war das Projekt stark kritisiert worden. 15 Milliarden Franken (17,25 Milliarden Mark) hat die Regierung veranschlagt, Kreditzinsen und Teuerungsraten nicht mitgerechnet. GegnerInnen vermuten, daß das Projekt schließlich 50 Milliarden Franken kosten wird. Die Regierung hat nämlich bei ihrer Rechnung nicht nur die notwendigen neuen Zubringertrassen vernachlässigt, sondern auch einen Zuwachs von Zügen vorausgesetzt, der gar nicht durch die Tunnelröhren paßt. Eine Amortisierung nach 60 Jahren halten sie für Schönfärberei. Neben den Baukosten für die Schienen wird auch entscheidend sein, wie stark der Straßengüterverkehr die durch ihn verursachten Kosten bezahlen muß — und wie günstig damit die Konkurrenzsituation der Huckepackzüge aussieht. Bisher subventioniert die Schweiz jeden Transport mit dem Zug.
Finanzielle Unterstützung aus der EG, die vor allem Nutznießer des gigantischen Bauwerks sein wird, lehnt Verkehrsminister Ogi jedoch ab: „Es gilt das Territorialprinzip. Wenn die EG zahlen soll, will sie auch mitreden.“
Bei der Volksbefragung am Wochenende stimmten nur drei Kantone gegen den Tunnelbau: Uri, Appenzell-Außerrhoden und Appenzell-Innerrhoden. Kein Wunder: Die Menschen dort werden schon heute vom Transitverkehr der EG besonders belästigt. Sie haben die Erfahrung gemacht, daß neue Verkehrswege immer mehr Verkehr anziehen.
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