: „Sklaven und High-Tech“
■ Interview mit Gisela Klose
taz: Frau Klose, Sie sind wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte des KZ „Mittelbau Dora“ in der Nähe des thüringischen Nordhausen. Sie erinnert an eines der grausamsten Kapitel der nationalsozialistischen Rüstungswirtschaft. In unterirdischen Stollensystemen wurden hier die sogenannte V1 und V2 serienmäßig hergestellt. Wann ist das Konzentrationslager „Dora“ entstanden?
Gisela Klose: Im August 1943 als ein Außenlager von Buchenwald. Im Oktober 1944 ist es dann das letzte selbständige Konzentrationslager der NS-Zeit geworden.
Wieviele Sklavenarbeiter wurden zur Produktion eingesetzt?
Von August 1943 bis April 1945 sind 60.000 Menschen hier gewesen. Davon sind 20.000 umgekommen. Nicht alle haben im Stollen gearbeitet. Es gab viele Außenlager und auch Baubrigaden innerhalb des Barackenlagers. Rund 10.000 bis 15.000 KZ-Häftlinge waren im Stollen in der Produktion.
Wie haben sie das unterirdische Werk gebaut?
Ab August 1943 wurden ersteinmal die Stollen ausgebaut und für die unterirdische Fabrik vorbereitet, dann die technischen Anlagen installiert. Ab Januar 1944 wurden die ersten Raketen montiert.
Die Häftlinge arbeiteten unter Bedingungen, die selbst für KZs von unglaublicher Brutalität waren.
Die Stollen wurden als die „Hölle von Dora“ bezeichnet. Die Häftlinge sind hierhergekommen, mußten sofort in den Stollen und dort schlafen und arbeiten. Neun Grad war dort die Dauertemperatur mit 90 Grad Luftfeuchtigkeit. Während die eine Schicht die Spreng- und Ausbauarbeiten für die Fabrik machte, war die andere Schicht im sogenannten Schlafstollen. Am Anfang lagen die Häftlinge auf dem blanken Fußboden, dann auf Strohsäcken, erst später auf vierstöckigen Pritschen, auf denen sich die Tag- und die Nachtschicht abwechselte. Von Schlafen konnte natürlich keine Rede sein. Es gab kein Frisch- oder Trinkwasser, keine sanitären Anlagen. Zusätzlich war es eine sehr schwere körperliche Arbeit und die Nahrung völlig unzureichend.
In den Empfehlungen der Historikerkommission zur Neugestaltung der thüringischen Gedenkstätten heißt es, daß sich das Besondere des KZ „Mittelbau Dora“ nur durch eine Verbindung von Gedenkstätte und Stollensystem erschließe. Steht das System inzwischen unter Denkmalschutz?
Ja, aber der Zusammenhang, die makabere Verquickung von Sklavenarbeit und High-Tech, ist noch nicht erfaßt. Es waren schließlich Häftlinge, die die V2 montiert haben. Der Stollen war die Fabrik und das KZ, dort haben die Häftlinge gelitten und dort sind sie umgekommen. Wir wollen mit einer möglichen zukünftigen Öffnung des Stollens diese Zusammenhänge vermitteln. Aber wir kriegen wir nicht genügend Geld, um das Stollensystem zu erhalten.
Wie man die High-Tech-Seite betont und die Opfer außer acht läßt, zeigt die geplante Gedenkfeier zum Abschuß der ersten V2 in Peenemünde. Was halten Sie davon?
Das ist eine ganze makabre Geschichte. Es ist eine Beleidigung derer, die durch die Raketen umgekommen sind, und derer, die als Zwangsarbeiter die Anlage aufgebaut haben und dort gestorben sind. Das darf eigentlich heutzutage nicht sein. Vor allem, angesichts der täglichen Aktionen von Rechtsradikalen und Neofaschisten.
In Peenemünde soll ein Museum für die V2 eingerichtet werden. Geht dorthin und in Kriegstourismus das Geld, das Sie nicht bekommen?
Unsere Einrichtung erhält sehr wenig Geld. Es ist mir bekannt, daß nach Peenemünde viele Millionen fließen und daß dort keine Finanzproblme herrschen. Interview: A. Kugler und B. Mika
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