: Angola braucht einen guten Wahlverlierer
Bei den heutigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Angola wird die Entscheidung für eine der Bürgerkriegsparteien fallen, die sich 17 Jahre lang bekämpft haben. Zwar haben die ehemals marxistische MPLA und die rechten Unita-Rebellen versichert, das Votum der WählerInnen zu akzeptieren, dennoch wird das Wahlergebnis mit Nervosität erwartet. ■ Aus Luanda Willi Germund
Schon die Generalprobe gerät zur großen Attraktion in Mbanza Congo. Hunderte von Neugierigen schauen zu, als auf der Landepiste im Zentrum der ehemaligen Königsstadt das Empfangskomitee übt. In gelben T-Shirts mit rot-grüner Fahne und mit Palmwedeln bereiten sich etwa 50 Anhänger der rechtsgerichteten Rebellenbewegung Unita auf die Ankunft ihres Präsidenten Jonas Savimbi vor. „Calcas Novas“ — neue Hosen — forderte die bisher von den USA und Südafrika unterstützte Rebellenbewegung für Angola. „O futuro certo“ — eine sichere Zukunft — verspricht dagegen der seit zwölf Jahren amtierende Präsident Eduardo dos Santos den 4,8 Millionen Wahlberechtigten des afrikanischen Landes.
18 Parteien nehmen an den zweitägigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 29. und 30.September teil. Doch die Entscheidung fällt zwischen den beiden Gruppierungen, die sich im 16jährigen Bürgerkrieg unversöhnlich gegenüberstanden. Schon die Führer der seit der Unabhängigkeit regierenden MPLA und der Rebellenbewegung Unita könnten nicht unterschiedlicher ausfallen. Der seit zwölf Jahren amtierende Präsident Eduardo dos Santos, der mit seinen 49 Jahren bereits ergraut, gehört zu den afrikanischen Technokraten, die einst in Moskau ausgebildet wurden. Er machte sich einen Namen als Pragmatiker, aber hinter seinem ruhigen und gelassenen Gebaren verbirgt sich ein eiserner Wille. Der 59jährige Unita-Chef Jonas Savimbi gehört dagegen zu der Schar jener autoritären und oft unehrlichen Führer, die inzwischen im übrigen Afrika in größte Schwierigkeiten geraten sind.
Die Kandidaten mögen eine deutliche Alternative darstellen, attraktiv sind sie für viele WählerInnen trotzdem nicht. Der Restaurantbesitzer Adolfo Ferreira in Angolas Hauptstadt Luanda hat sich für dos Santos entschieden: „Ich habe die Wahl zwischen Cholera und Malaria.“ Savimbis Unita mit ihrer Geschichte von brutalen Massakern lehnt er ab, die MPLA mit ihrem Erbe von Mißwirtschaft und Korruption erscheint ihm als das kleinere Übel. Der 23jährige Joao Pinto Calenga aus einem kleinen Dorf nahe der Stadt Lubango im Süden Angolas ist überzeugt: „Die Leute auf dem Land werden Unita wählen. Sie glauben, daß der Krieg wieder anfängt, wenn Savimbi verliert.“ Etwa 3,7 der 4,8 Millionen Wahlberechtigten leben mittlerweile im Umkreis der Städte Angolas, doch der Gedankengang ist auch in der Hauptstadt Luanda immer öfter zu hören.
Unita-Chef Jonas Savimbi schürte in den letzten Tagen des Wahlkampfs die Ängste vor einem neuen Konflikt: „Unita kann nur durch Wahlbetrug verlieren“, wettert er immer wieder. Die Unita- Mitglieder machen deutlich, was dies in der Praxis bedeuten könnte. Als Präsident dos Santos die Stadt Huambo zu einem Wahlkampfauftritt besuchte, paradierten Unita- Soldaten morgens um zwei Uhr mit gepanzerten Fahrzeugen südafrikanischer Herkunft durch die Straßen. In der Hauptstadt Luanda wiederum werden Unita-VertreterInnen in bestimmten Stadtvierteln immer wieder von einem Steinhagel empfangen.
Bis heute verwehrt die Unita in 52 Ortschaften RegierungsvertreterInnen jeden Zutritt. In den Lagern, in denen Unita-Soldaten zusammengezogen wurden, haben die Campchefs die Wahlausweise eingesammelt. UN-Soldaten in der Unita-Bastion Cuango-Cubango an der Grenze zu Namibia schickten am Donnerstag einen Notruf an die Zentrale in Luanda: „Wir müssen evakuiert werden.“ Unita- Soldaten hatten ihnen Gewehre an die Schläfe gehalten. Gleichzeitig beschuldigen RegierungsanhängerInnen die Vereinten Nationen, mit der Unita unter einer Decke zu stecken.
In fünf Provinzen gab es während der letzten Wochen massive Meutereien von Soldaten. 70.000 Soldaten von beiden Seiten wurden immer noch nicht demobilisiert. Ab Anfang Oktober werden sie von den Vereinten Nationen keine Nahrungsmittel mehr erhalten. Die Folgen wagt sich in Luanda im Augenblick niemand auszumalen. Unita-Chef Jonas Savimbi reist zu seinen Wahlkampfauftritten mit einer Leibgarde von 300 Mann, Eduardo dos Santos wird von etwa 1.000 Leuten beschützt.
In fünf der 18 Provinzen ist, so ein UN-Vertreter, „der Teufel los“. Bei zehn Millionen EinwohnerInnen in einem Land von der doppelten Größe Frankreichs, 4,8 Millionen WählerInnen und 5.800 Wahllokalen können die angemeldeten 800 ausländischen WahlbeobachterInnen faire und saubere Wahlen kaum garantieren. „Die Frage ist nicht, ob es saubere Wahlen gibt, sondern ob der Verlierer die Niederlage akzeptiert“, argumentiert ein UN-Vertreter. Die katholische Kirche rief mittlerweile beide Seiten öffentlich auf, den aggressiven Ton der letzten Tage zu mildern. „Es gibt auf beiden Seiten eine Menge offener Rechnungen“, sagt ein UN-Vertreter, „und auf beiden Seiten gibt es gegenwärtig wenig Toleranz.“
Luandas BewohnerInnen bunkern bereits kräftig Vorräte für die Wahlwoche. Botschaften und ausländische Organisationen basteln an Notplänen. Nach einem erbarmungslosen sechzehnjährigen Bürgerkrieg, der etwa 500.000 Menschenleben forderte und rund 100.000 Kriegsversehrte hinterließ, ist das Vertrauen auf eine friedliche Zukunft noch sehr schwach. Niemand rechnet mit einem neuen Ausbruch des Krieges, aber massive Sabotage und gewaltsame Zusammenstöße zwischen den AnhängerInnen der beiden großen Parteien werden nicht ausgeschlossen.
Doch im Flüchtlingslager in Mbanza Congo, etwa 30 Kilometer vor der Grenze zu Zaire, ist von der zugespitzten Stimmung im restlichen Angola nichts zu spüren. Nachmittag für Nachmittag versammeln sich die Flüchtlinge um zwei Vertreter der Vereinten Nationen. Sie verlesen die Namen derjenigen Familien, die endgültig in ihre Heimatorte zurückkehren können. Über 5.000 Flüchtlinge leben in dem von rotem Staub bedeckten Lager, täglich kommen rund 200 neue HeimkehrerInnen aus dem Nachbarland Zaire hinzu. „Wir haben gehört, daß in Angola wieder Frieden herrscht“, sagt ein 45jähriger Mann, der nach dreizehnjähriger Abwesenheit zurückkam. „Jetzt wollen wir nach Hause.“
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