piwik no script img

Die nächste Wende kommt bestimmt

■ Merkwürdig leidenschaftslos und unengagiert: Ein Nachschlagewerk zu (Ost-)Berliner Straßennamen

Wieder einmal ein Buch, an dem das Vorwort das Beste ist. Der Ostberliner Schriftsteller Heinz Knobloch, ein Meister der kleinen Geschichte, der schon lange einen großen Literaturpreis verdient hätte, hat Fakten und auch Besinnliches zu Straßenumbenennungen in Berlin aufgeschrieben. Damit hat er das getan, was man von den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Buchs erwartet hätte: Von den Erklärungen, warum und wieso eine Straße ihren Namen hat, Bezug herzustellen zu der seit zweieinhalb Jahren in der Stadt zum Teil heftig geführten Debatte, welche Straßen wie umbenannt werden sollen.

»Berliner Straßennamen« ist der Titel des Buchs, aber erst im Untertitel erfährt man, daß es sich um Straßen nur in Ost-Berlin handelt, wobei die Bezirke Treptow, Köpenick und Marzahn noch ausgespart sind; ein unvollständiges Werk also, das zudem nach den jeweiligen Stadtbezirken geordnet ist. Wer herausbekommen will, warum eine Straße ihren Namen trägt, muß schon wissen, in welchem Stadtteil die Straße liegt. Hat man dies geklärt, dann kann man schon Wissenswertes lesen. Die Fleißarbeit der Autorinnen und Autoren über die 2.215 Straßennamen hat zum Teil Skurriles zutage gefördert. Über die Straße »Zum Hechtgraben« in Hohenschönhausen lesen wir, daß die Herkunft des Namens sagenumwoben ist. Im nahegelegenen Malchower See soll sich ein slawisches Heiligtum befunden haben, das nach der Christianisierung mit allen Schätzen versenkt worden sein soll. Beim Versuch, den letzten Mitwisser zum Sprechen zu bringen, habe sich dieser in einen Hecht verwandelt, um den Schwur einzulösen, »stumm wie ein Fisch« zu sein. Über die »Allee der Kosmonauten« erfahren wir, daß die Kosmonauten Siegmund Jähn und Waleri Bykowski die ersten Bäume setzten, als die Straße 1978 umbenannt wurde.

Viel Wert haben die Autorinnen und Autoren darauf gelegt, die Straßennamen zu erläutern, die nach antifaschistischen Widerstandskämpfern benannt sind. Damit hebt sich das Buch wohltuend von seinem Vorläufer ab, der die Geschichte der Straßennamen in Friedrichshain und Prenzlauer Berg zum Gegenstand hatte. Dieses Buch (Titel: Straßen in Prenzlauer Berg und Friedrichshain) der Autoren Wolterstädt und Zech, die auch diesmal dabei sind, war 1989 noch vor der Wende durch den Kulturbund herausgegeben worden. Die dürren Schlagworte von damals (»als antifaschistischer Widerstandskämpfer ermordet« oder ähnlich) sind durch Fakten ergänzt. Andererseits sind zahlreiche Zusatzinformationen nicht weiter erhellend. Da in Friedrichshain viele Straßen nach Städten in ehemaligen Ost-Provinzen von Preußen benannt sind, hätten die Autorinnen und Autoren zur besseren Orientierung nicht nur die heutigen polnischen Wojewodschaften, sondern auch die alten deutschen Bezeichnungen wie Schlesien und Pommern angeben sollen.

Größter Mangel der neuen Publikation ist jedoch die merkwürdige Gelassenheit, mit der über die heftig geführte Umbenennungsdiskussion nach der Wende in der DDR und der Vereinigung der beiden Stadthälften hinweggegangen wurde. Da streiten sich monatelang die Parteien im Abgeordnetenhaus darüber, ob den Bezirken das Namensgebungsrecht entzogen werden soll, weil der CDU alles viel zu langsam und nicht weit genug geht. Da werden Kommissionen gebildet, Bürgerversammlungen abgehalten, Verwaltungsklagen angedroht, und es wird auch tatsächlich geklagt. In den meisten Artikeln, die den bezirklichen alphabetischen Namensübersichten vorangestellt sind, hört die Geschichte der Neu- und Umbenennungen etwa 1990 auf. Gerade der Umgang der Politik mit den ungeliebten Straßennamen aus der DDR-Zeit hätte wenigstens geschildert, wenn nicht sogar kommentiert werden müssen. Die Einfallslosigkeit, mit der auf die alten Namen vor der SED-Zeit zurückgegriffen wurde, hätte man wenigstens erwähnen müssen. Immerhin sind bis zum 1. Februar 1992 52 Straßen umbenannt worden. Dies ist die größte Umbenennungswelle seit 1947 in ganz Berlin und seit Anfang der Fünfziger in Ost-Berlin. Die »verdienten« SED-Bürokraten verschwanden, aber auch einige Antifaschisten und Revolutionäre. Zur Erinnerung: Im Bezirk Mitte erhielten nicht nur der Lustgarten seinen Namen zurück sowie der Platz der Akademie, der jetzt wieder Gendarmenmarkt heißt, die BVV hat auch eine der makabersten Rückbenennungen (mit eingebauter Tragikomik) vorgenommen. Die unmittelbar an der früheren Mauer gelegene Reinhold-Huhn-Straße heißt nun wieder Schützenstraße. Das ist auch mehr recht als billig, wo doch Reinhold Huhn ein DDR-Grenzer war, der 1962 an der innerstädtischen Grenze wahrscheinlich von einem Fluchthelfer erschossen wurde. Die von der BVV Mitte mit knapper Mehrheit beschlossene Umbenennung der Otto-Grothewohl-Straße in Toleranzstraße liegt zur Zeit auf Eis, weil ein SPD- Mitglied aus ebenjener Straße Widerspruch und Klage eingereicht hat, nicht etwa weil er so viele Sympathien für den SED-Ministerpräsidenten (der einmal SPD-Mitglied war) hegt, sondern weil er lieber den alten König Friedrich Wilhelm I als Namensgeber wiederhaben will. Das Buch — Redaktionsschluß laut Vorwort März 1992 — sagt nichts darüber. Auch über die letzten zwei Jahre in Friedrichshain schweigen sich Kurt Wolterstädt und Hermann Zech aus. Dabei sind sogar Delegationen aus Frankreich nach Friedrichshain gereist, die verhindern wollten, daß die nach dem französischen Widerstandskämpfer Timbaud benannte Straße in Fredersdorfer Straße rückbenannt wird. Im Frühjahr 1989 war die Straße mehr oder weniger überfallartig von der SED-Verwaltung umbenannt worden, um einer französischen Delegation ein Geschenk zur 200-Jahr- Feier der Französischen Revolution zu machen. Die zuerst ins Auge gefaßte Straße in einem Neubaugebiet erwies sich als Schlammacker und war damit unattraktiv für die geplante weihevolle Zeremonie. Schließlich schweigt sich das Buch auch über den Streit in Prenzlauer Berg aus. Eigens um eine fundierte Entscheidung der Bezirksverordneten zustande zu bringen, organisierte das Heimatmuseum 1991 eine Ausstellung zu allen Straßennamen im Bezirk und gab sogar ein hervorragend gemachtes Buch heraus (»Bezirk Prenzlauer Berg, Straßen und Plätze, Mit der Geschichte leben«, Verlag Hentrich, Berlin 1991).

Trotzdem endete die entscheidende BVV-Sitzung im Frühjahr 1992 fast im Chaos. SPD und CDU wollten über die Vorschläge des Bezirksamts hinaus auch zahlreiche Straßen, die nach antifaschistischen Widerstandskämpfern benannt sind, um- beziehungsweise rückbenennen. Bündnis 90 und der Unabhängige Frauenverband kündigten dagegen Klage wegen eines Formfehlers an. Bis heute liegen die Umbenennungspläne auf Eis.

Einzig der Bezirk Hellersdorf und der im Buch nicht beschriebene Bezirk Marzahn beherzigten wenigstens einige der zahlreichen Vorschläge politischer Gruppen in der Stadt, Frauen im allgemeinen und Schriftstellerinnen im besonderen, auch Schriftsteller ins Stadtbild zu bringen. So gibt es in Hellersdorf jetzt eine Peter-Huchel- Straße, eine Ernst-Bloch-Straße, eine Lily-Braun-Straße und eine Adele-Sandrock-Straße. Leider muß man sich dies alles beim Durchlesen des alphabetischen Verzeichnisses selbst zusammenreimen. Der Einführungstext über Hellersdorf endet mit seiner Beschreibung schon 1989.

Das Buch ist hilfreich für die an Berliner Lokalgeschichte Interessierten. Die Autorinnen und Autoren haben sicherlich viel Arbeit und Mühe hineingesteckt. Sie haben es aber leider versäumt, einen der am heftigsten geführten Streite in der Berliner Kommunalpolitik der letzten zweieinhalb Jahre wenigstens im Ansatz zu dokumentieren. Schade, denn das ist notwendig für die nächste Runde von Umbenennungen — und die kommt bestimmt, spätestens bei der nächsten »Wende«. Jürgen Karwelat

»Berliner Straßennamen. Ein Nachschlagewerk für die Bezirke Friedrichshain, Hellersdorf, Hohenschönhausen, Lichtenberg, Mitte, Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee«. Chr. Links Verlag 1992, 335 Seiten, 24 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen