: Veteranentreffen
■ Dieter Kunzelmann und Bernd Rabehl erinnern sich an »68«
Am vergangenen Samstag trafen sich im Kulturverein Charlottenburg, einer konspirativ im Hinterhof gelegenen Mischung aus Kneipe und Wohnzimmer, einige in die Jahre gekommene Damen und Herren, um vergangener Zeiten zu gedenken und sich nebenbei zu fragen, was von den antiautoritären Aufbrüchen der sechziger Jahre übriggeblieben ist. Man war unter sich, und wenn es ein deutliches Zeichen dafür gibt, wie sehr die Jahre 1966 ff. mittlerweile in die historische Ferne gerückt sind, war es die träge Stammtischgemütlichkeit dieses Abends.
Die Protagonisten der archäologischen Ausgrabungen waren zwei zentrale Kontrahenten des linksradikalen Flügels im SDS: Der »Aktionspolitologe« Dieter Kunzelmann und der mittlerweile im akademischen Feld arrivierte Bernd Rabehl. Sie stehen für den Abstand zwischen existentieller Revolte und Berufspolitikertum, zwischen Boheme-Existenz und akademischer Karriere. Wie sehr diese Konfliktlinien noch heute den Umgang mit antiautoritären Radikalen wie Kunzelmann bestimmen, war zuletzt innerhalb der taz zu besichtigen: Nachdem die Berlin-Redaktion im Juli 1991 gewagt hatte, gegen die Weisung der Chefredaktion ein Gedicht Kunzelmanns zu veröffentlichen, in dem er sich Diepgen als Opfer eines Attentats vorgestellt hatte, wurde der gesamten Redaktion der Berlin- Kultur gekündigt.
1968 führte der Konflikt zwischen Realpolitikern und Provokateuren zum Rauswurf der Kommune 1 (Kunzelmann, Fritz Teufel, Rainer Langhans & Co) aus dem SDS: Man hatte Angst, durch die Manöver der Kommune in die Illegalität getrieben zu werden. Rabehl berichtete von der Irritation, die Kunzelmanns antibürgerliche Konsequenz bei ihm auslöste, etwa als Kunzelmann forderte, man müsse sich kriminalisieren, um nicht mehr in das bürgerliche Leben zurückzukönnen. Selbstkritisch beschrieb Rabehl die kleinbürgerlichen Züge in der Mentalität der SDSler, die bei aller theoretischen Radikalität das Ziel einer ordentlichen Karriere nie aus den Augen verloren. Kunzelmanns situationistische Haltung, die Revolutionierung des Alltagslebens zu erproben, mußte diesen Leuten bedrohlich erscheinen. Als Beispiel nannte Rabehl das gepflegte Spießertum im Liebesleben der Revolutionäre, für das der religiös und asketisch sozialisierte Dutschke ein Exempel abgab: »Der Dutschke war so erzogen, daß er die Frau, mit der er zum ersten Mal schläft, heiraten muß, und das hat er dann auch getan.«
Das illusionslose Resümee der Sparringspartner: von heute aus gesehen seien die Abenteuer ihrer Jugend vor allem einem Modernisierungsschub der verstaubten bundesrepublikanischen Gesellschaft entgegengekommen. »68«: eine Kulturrevolution, an deren Ende nicht befreite Individuen, sondern pflegeleichte Konsumenten und eine wettbewerbsfähige Industrie stehen — spätestens seit Foucault keine besonders originelle These mehr. Bezeichnend für das geistige Klima und die Stimmung der angegrauten Subversiven allerdings ist die müde Selbstverständlichkeit, mit der das eigene Scheitern akzeptiert wird. Peter Laudenbach
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