piwik no script img

Am Waterloo-Ufer drängeln sich Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien

■ Neue Antragstelle für Kriegsflüchtlinge ist völlig überlastet; Ab April 1993 werden Asylanträge in Spandau bearbeitet

Berlin. Um die überlaufene Ausländerbehörde am Friedrich- Krause-Ufer zu entlasten, hatte der Senat sich Anfang des Monats dafür ausgesprochen, Teile der Dienststelle auf die Stadt zu verteilen. Die Antragstelle für Asylbewerber aus dem außer- und osteuropäischen Raum kommt nach Hohenschönhausen, Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien müssen sich seit vorgestern am Waterloo-Ufer einfinden, wenn sie ihre Duldung beantragen oder verlängern lassen wollen. Dort bietet sich allerdings das gleiche Bild wie zuvor am Friedrich-Krause-Ufer.

Bereits am frühen Morgen stehen die Bosnier und Serben an, um sich in eine fünfzig Meter lange Gasse zu zwängen, die durch Absperrgitter zum Eingang der ehemaligen Antragstelle für DDR- Visa gebildet wird. Am heutigen Mittwoch sollen die Antragsteller, deren Namen mit den Buchstaben K bis N beginnen, den Stempel erhalten, doch ist der Anfang des Alphabets noch nicht abgearbeitet, und morgen werden bereits die Buchstaben O bis S an die Schalter gebeten. Das Chaos ist perfekt. Gestern mittag warteten bereits 100 Menschen vor dem Eingang, um zumindest heute früh Einlaß zu erhalten, denn, so klagen sie, gestern früh seien die Pforten bereits nach zwei Stunden verschlossen worden, obwohl noch etwa sechshundert vor der Tür standen.

Die Wiesen um das Gebäude bieten bereits nach zwei Tagen einen verwahrlosten Anblick, Mülleimer fehlen ebenso wie sanitäre Anlagen. Auf einem Hinweisschild dankt das Landeseinwohneramt den Wartenden für ihr Verständnis, daß nur 300 von ihnen pro Tag bearbeitet werden können. Doch die da seit Stunden, stehen haben kein Verständnis, hängt doch für einige von dem Stempel die Sozialhilfe und der Verbleib in den Heimen ab. Andere haben sich für den Gang zur Behörde einen Tag frei genommen und müssen nun ihrem Arbeitgeber erklären, warum sie drei Tage am Waterloo-Ufer waren.

Die Sprecherin der Innenverwaltung, Martina Ernst, findet das Ganze auch »eine mißliche Lage«, doch könne man nichts machen. Die Mitarbeiter der Ausländerbehörde seien ohnehin überlastet, mehr könne man nicht einstellen. Der starke Andrang sei ein Resultat des Beschlusses des Bundesinnenministers Rudolf Seiters, die Duldungen von Kriegsflüchtlingen über die ursprüngliche Frist 30. September hinaus um sechs Monate zu verlängern. 6.000 Menschen in Berlin müssen sich nun einen entsprechenden Stempel in ihren Paß drücken lassen. Von daher rechnet Ernst damit, daß es sich am Waterloo-Ufer um eine »kurzfristige Situation handelt«. Allerdings wird diese noch mindestens zwanzig Tage anhalten. Wenn die Verlängerung im kommenden März abgelaufen ist, werden sich die Flüchtlinge wiederum zum Waterloo-Ufer begeben müssen, denn die Bearbeitung von Flüchtlingsverfahren soll dort auf Dauer erfolgen. Hingegen wird die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber zum 1. April von Hohenschönhausen nach Spandau verlegt werden. Der Senat beschloß gestern, daß in der Streitstraße alle Dienststellen zusammengefaßt werden, die am Asylverfahren beteiligt sind. Er erhofft sich von der Zusammenlegung eine Beschleunigung des Asylverfahrens auf eine Frist von acht bis zehn Wochen. dr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen