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Milde Weggetretenheit

■ Handkoid, preziös, auch hostienhaft: Thomas Hettches „Inkubation“

Thomas Hettche, Jahrgang 1964, erster Roman „Ludwig muß sterben“ 1989 bei Suhrkamp, zahlreiche Literaturpreise, sei, so zitiert der Verlag die Zeit, die es wissen muß, ein literarischer „Mauerstürmer“. Dann kommt gleich das Wort „Diskurs“, dann die rituelle Attacke auf „normal beschränkte Erzähler“ (wer und was immer das sein soll). Schon in „Ludwig“ fiel Hettches Verachtung dessen auf, was man im allgemeinsten als Sprachbeherrschung bezeichnet, als da sind: ein nachvollziehbares Verhältnis zur Grammatik und eines zu den semantischen Regeln, auf deren Basis Sprache funktioniert, beziehungsweise deren Sonderform Prosa. Dieses Funktionieren soll gerade überwunden werden, um mittels Mauersturm zur reinen kontextlosen Poesie zu gelangen, zu dem, wovon Flaubert, gottseidank vergeblich, träumte: einem Buch über nichts.

Irgendwann im Laufe der Moderne, scheint sich der intellektuelle Anspruch, den „hohe“ Kunst stellt, aus derselben ebenso verflüchtigt zu haben wie der kommunikative — daß Literatur zu jemandem über etwas spricht. Was übrig blieb, sind die äußeren Merkmale des Schwierigen, „formal Avancierten“ und was des propagandistischen Theaterdonners mehr ist, womit die Nacktheit diverser Königskinder umnebelt werden muß. Peter Handke dürfte der Begründer jener Schule sein, deren poetischer Modus eine milde Weggetretenheit ist, deren sprachliche Realisierung nun bei Hettche — weil wir ja kein „normal beschränkter Erzähler“ sind, sondern viel, viel weiter — komischerweise in einem Kompendium lyrischer Standardsituationen und Gemeinplätze endet, wo Hinterhöfe stets Ratten nach sich ziehen, Läufer ausdauernd sind und Theken schimmernd, der Regen anhaltend, Ölschichten glänzend und überhaupt gar kein Adjektiv, das geflogen kommt, und sei's von weit her, meist aber von ganz nahe, fehlen darf.

Zu Anfang muß einer gleich Theseus heißen, billiger geben wir's nicht; zu handkoider Preziosität und Erotik, die kein Woher und Wohin kennt und wenig Worte, gesellt sich die späte Verfallsform eines Existentialismus, den die allgemeine Düsterheit der menschlichen Existenz nie daran gehindert hat, gratis und franko ein wenig Misogynie mitzuliefern: „... nimm das Mädchen und leg es beiseite wie immer, wie damals, dachte ich, doch der, den ich Theseus nannte, stand, die weiße Schürze um die Hüften [...] noch immer vor dem Mädchen, das im Schneidersitz auf dem Flipper saß.“

Ob die „Stimmen“ des Textes, die gleich zu Beginn „sich“ ins Wort fallen, dies nicht eher „einander“ tun, sei dahingestellt. Jene, zu deren Kunst-Diät Bücher — was sage ich: Hostien — wie das hier besprochene gehören, wird so kleinliches Mäkeln nicht von ihrer Kommunion abbringen. Dem Verlag sei zu der glänzenden Idee gratuliert, „Inkubation“ neben dem edition-suhrkamp-Bändchen den Gläubigen als „einmalige, numerierte und vom Autor signierte Auflage“ zu 78DM das Stück anzubieten. Damit wenigstens die Kasse stimmt, wenn das Vergnügen, außerhalb der ummauerten Tempelbezirke, sich eher in Grenzen hält. Walter Klier

Thomas Hettche: „Inkubation“. Suhrkamp Verlag 1992, 180 Seiten, 14Mark.

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