: Sah ein Knab ein Röslein stehn
■ „BeFreier und Befreite“: geblendet vom Verbrechen / Zum Start von Helke Sanders neuem Film in Bremen
Auf der diesjährigen Berlinale hatte die Bremer Filmemacherin Helke Sander mit ihrem insgesamt dreieinhalb Stunden langen Dokumentarfilm „BeFreier und Befreite“ Aufsehen und Betroffenheit erregt. Brisantes Thema des Filmes: Die Vergewaltigungen deutscher Frauen nach Kriegsende in Berlin, vornehmlich durch die Soldaten der Roten Armee. „BeFreier und Befreite“ läuft in der endgültigen Fassung an diesem Wochenende im Cinema.
Viele betroffene Frauen kommen in Helke Sanders' Film zu Wort und berichten, was ihnen im März 1945 in den Wohnungen und Kellern und Hinterhöfen passiert ist. Es sind schreckliche und brutale Vergewaltigungen gewesen, oft von ganzen Männerhorden, die Schlange standen bei jungen Mädchen ebenso wie bei alten Frauen.
„Mein Film ist ein historisches Dokument“, so Helke Sander zur taz, „ich wollte, daß das Ausmaß der Nachkriegsvergewaltigungen deutlich wird. Unsere Mütter- und Großmüttergeneration ist davon getroffen, ohne jemals eine Möglichkeit gehabt zu haben, sich mit der Gewalt, der sie ausgeliefert waren, auseinanderzusetzen.“ Das Thema war tabu. Zum einen durften die „Befreier“ aus politischen Gründen nicht zugleich als die Vergewaltiger gelten; zum anderen galt es als Schande und Schuld, vergewaltigt worden zu sein. „Für viele Frauen war die ignorante Reaktion ihrer Männer fast schlimmer als die Vergewaltigungen selbst.“
Den im Film befragten Frauen merkt man ihre große Befangenheit an. Betont forsch oder ironisch oder kühl distanziert, entziehen sich ihre Berichte der unmittelbaren Einfühlung. „Ich hatte keineswegs vor, Menschen vor der Kamera zum Weinen zu bringen“, sagt Helke Sander, „ich wollte die Fakten für sich sprechen lassen.“
Die Fakten sind kalt. Von den 1,4 Millionen Frauen, die 1945 in Berlin lebten, wurden mindestens 110.000 von Soldaten der Roten Armee vergewaltigt. Nicht nur einmal, sondern in einzelnenen Fällen über 100 Mal. Vor diesen Zahlen droht das Einzelschicksal unterzugehen, umsomehr, als die Frauen in „BeFreier und Befreite“ nur mit ihrem Namen vorgestellt werden. Nichts über ihr soziales Umfeld, damals und heute, wenig über ihre Verarbeitungsstrategien.
Dieses Manko des Zu-wenig zieht sich durch den ganzen langen Film. Kinder aus „Gewaltverhältnissen“ sprechen über ihr Verhältnis zum Vergewaltigervater. Und gerade wenn man voller Erstaunen registriert, daß sich ihre Haßgefühle ausgerechnet auf die Mutter richten, ist das Gespräch schon wieder vorbei. Da äußern sich ehemalige Angehörige der Roten Armee und behaupten entweder, von allem nichts gewußt zu haben oder „Mann ist eben Mann“. Und es gibt keine Ecke, in die sie von der Filmemacherin durch hartes Nachfragen gedrängt würden. „Ich wollte nur darstellen“, so Helke Sander, „historische Analysen, überhaupt die Aufarbeitung dieses Themas, das müssen nun andere machen.“
In der Tat, das müssen sie wohl. Der Film steht in einem luftleeren Raum. Es war ja nicht irgendein Krieg, dem die Vergewaltigungen folgten, sondern der faschistische Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung der Sowjetunion. Das wird in „BeFreier und Befreite“ nur am Rande thematisiert — mit der Folge, daß der Film zu einem
Helke Sander, Filmemacherin
bloßen Sammelsurium über die Folgen von Vergewaltigungen zu werden droht. Sander verstärkt das noch durch ihre filmischen Stilmittel. Unter altem Archivmaterial liegt eine pathetisch-bedrohliche Musik. Irgendein Männerchor singt das Volkslied „Sah ein Knab ein Röslein stehn“, ein Lied, das auf symbolische Weise eine Vergewaltigungsszene besingt. Damit kann man auf eine allgemeine Gegenwart von Vergewaltigungen hinweisen, sicher. Wo aber
hierhin bitte
die Frau im
Mantel
liegt unsere heutige Verantwortung für das damalige Geschehen? Haben wir sie überhaupt, da ja die Deutschen, nach Angaben des Filmes, sehr viel weniger vergewaltigt haben? Lebt der Vergewaltiger auch in uns — und wenn ja — was machen wir mit ihm? Ungestellte Fragen.
Cornelia Kurth
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