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Dolce Vita

■ Bremisch-Italienisches über die Zeit

Nach Feierabend die Kinder abholen, ehe der Hort schließt, noch eben kurz vor Ladenschluß das Nötigste einkaufen, und die Bank hat garantiert schon zu. Für die BewohnerInnen der Stadt ticken zwei Uhren gleichzeitig, aber nie synchron: Die Uhr der eigenen Bedürfnisse und die der Dienstleistungsabgebote. Wenn man mal die Straßenbahn braucht, fährt gerade keine. Schon fast das Butterbrotprinzip: es fällt immer auf die Marmeladenseite.

Diesem Jammer Abhilfe zu leisten trafen sich gestern PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen zum Thema „Bremen — eine Stadt mit Zeit.“ Dabei ging es allerdings noch nicht um die Frage, wie der Bremer Alltag so organisiert werden könnte, daß die Fahrpläne und Öffnungszeiten auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmt werden könnte. So weit sind wir noch nicht. Zuerst hieß es, von den ItalienerInnen lernen. Gäste aus Modena, Mailand und Cagliari berichteten von ihren Erfahrungen mit einem Projekt, das seit 1987 viel Aufmerksamkeit erregt hat: Die Zeitstrukturen in den Blick zu nehmen. Ulrich Mückenberger, Hamburger Hochschullehrer mit Bremer Wohnsitz, hatte die Initiative nach Bremen transportiert und die italienischen Wissenschaftler und PolitikerInnen nach Bremen eingeladen.

In Modena hat alles angefangen. Nach einer intensiven Befragung der BürgerInnen setzten sich alle relevanten Gruppen an, man höre und staune, einen runden Tisch, und einigten sich auf kleine Änderungen mit großen und segensreichen Wirkungen: Die Öffnungszeiten von Altenheimen, Kinderkrippen, Läden in den Schlafstädten der Peripherie wurden so verändert, daß diejenigen, denen diese Einrichtungen eigentlich nutzen sollten, sie auch streßfrei nutzen können. Die Anpassung an den Bedarf, so einfach kann das klingen, hat allerdings auch in Italien Jahre in Anspruch genommen, berichtete Paola Manacorda, Wissenschaftlerin aus Modena. Dort ist die gesellschaftliche Diskussion um die Zeit schon seit dem Ende der 70er Jahre in Gange, erzählte der Bremer Hochschullehrer Thomas Krämer-Badoni.

Die Deutschen dagegen ticken noch immer nicht ganz richtig. Wir leben in einem Zeit-Entwicklungsland. „Die Diskussion müssen wir erst initiieren“, sagte Henning Scherf, unter dessen Fittichen das Treffen stattfand. Gemeinsam mit den WissenschaftlerInnen von der Denkfabrik des „Bremer Perspektiven- Labor“ will Scherf den italienischen Stein in den Bremer Tümpel werfen. Jochen Grabler

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