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Beutelschneiderei durch Sammelklage!

■ Kommentar zu einem Aufruf der „Solidarität e. V.“

Wie viele von Euch selbst einmal erfahren haben, kommt man im Vollzugsgeschehen manchmal nicht ohne einen Rechtsanwalt aus. Oftmals bieten sich Hilfsorganisationen an, Inhaftierten mit Rat und Tat bei der Bewältigung ihrer Probleme zur Seite zu stehen. Teilweise sind es Organisationen, die sich ganz allgemein für die rechtliche Durchsetzung genereller (und wahrhaftig oftmals begründeter) Forderungen Gefangener einsetzen.

Es ist wichtig, daß es diese Vereine, ganz einfach solche Menschen, gibt, die um die Ohnmacht wissen, in der sich ein Eingesperrter beinahe schon ständig befindet — angefangen bei der Problemlösung im privaten Bereich außerhalb der Gefängnismauern bis hin zu den simpelsten Begebenheiten im Vollzugsalltag. Das Wissen um die grundsätzliche Ohnmacht und das ständige Gefühl, nahezu bedingungslosen Ausgeliefertseins an eine Institution, die von Paragraphen beherrscht wird, haben die entsprechenden Auswirkungen.

Weil man sich nur allzu oft alleingelassen, verraten und regelrecht verkauft vorkommt, wird aus anfangs nur momentaner Wut wegen einer bestimmten Angelegenheit grundsätzlicher Haß auf alles das, was sich bürgerliche Gesellschaft nennt und einen selbst ganz offensichtlich als Krebsgeschwür herausoperiert und in die Tonne geworfen hat. Da ist man wahnsinnig froh über jede Organisation, jeden Menschen, der einem zeigt, daß man doch noch nicht völlig als Nebensache abgetan ist, glücklich über jede Handreichung von draußen.

Daß dies jedoch auf verschiedenen Wegen und vor allem mit ganz verschiedenen Zielsetzungen geschieht, zeigt das folgende Beispiel mit erschreckender Deutlichkeit: Hier versucht die „Solidarität e.V.“ nach unserer Ansicht, die nicht nur der Posaune-Redaktion seit Jahren durch das damalige Gerangel um den ehemaligen Vorsitzenden Erwin P. Remus und allgemein durchsichtige Machenschaften mit Spendengeldern bekannt ist, auf eine unverschämt dumm- dreiste Art, die Gutgläubigkeit und auch den Wunsch der Gefangenen nach einer wirklich leistungsgerechten Entlohnung — und zwar mit Hilfe des Rechtsanwaltes H. aus Mannheim — schamlos gewinnbringend auszunutzen.

Einige unserer Redakteure werden daher im Fall des Rechtsanwaltes H. aus Mannheim von einem weiteren Rechtsanwalt überprüfen lassen, inwieweit eine solche Angelegenheit dazu geeignet ist, die Arbeitsweise dieses Gentleman vor das Standesgericht zu bringen.

Mehrere Gefangene haben bereits versucht, die Aufnahme in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung und auch die Durchsetzung einer leistungsgerechten Entlohnung mit Hilfe eines gerichtlichen Entscheids zu erzwingen. Daß dies hinsichtlich der Aufnahme in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung durch den Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes, also der obersten Gerichtsbehörde, zurückgewiesen wurde (und zwar mit einer unanfechtbaren Entscheidung!) wird in der Anzeige nicht erwähnt.

Wir drucken hier den wichtigsten Teil aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25.8.85 ab, weil dieser Teil, obwohl er konkret nur zur Aufnahme in die Renten- und Krankenversicherung Stellung nimmt, gleichzeitig aussagt, daß die grundsätzliche Kernaussage auch auf die leistungsgerechte Entlohnung Anwendung finden kann:

„... Der vorläufige Ausschluß der Strafgefangenen von der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung gemäß § 198 Abs.3 StVollzG verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 2 Satz 1 des StVollzG)

Aus alledem folgt, daß der Staat den Strafvollzug so ausstatten muß, wie es zur Realisierung des Vollzugszieles erforderlich ist. Es ist seine Aufgabe, im Rahmen des Zumutbaren und Möglichen alle gesetzlichen Maßnahmen zu treffen, die geeignet und notwendig sind, bei Gefangenen das Vollzugsziel zu erreichen(BVerf GE 40, 276, 284).

Dies bedeutet jedoch nicht, daß der Gefangene einen mit Verfassungsrang ausgestatteten Anspruch auf bestimmte gesetzgeberische Maßnahmen hätte, die seiner Resozialisierung dienen und diese fördern. Bei der ihm allein obliegenden Entscheidung darüber, welche Resozialisierungsmaßnahmen möglich und finanzierbar sind, hat der Gesetzgeber weitreichende Gestaltungsfreiheit. Es liegt auch im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit, ein von ihm verfolgtes rechtspolitisches Ziel aus haushaltspolitischen Notwendigkeiten auszuschränken oder zurückzustellen. (vgl. BVerf GE 68, 287, 310).

Durch die vorläufige Nichtaufnahme der Gefangenen in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung wird die Resozialisierung als Vollzugsziel jedenfalls nicht in Frage gestellt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.“

Damit steht fest, daß der nationale Instanzenweg ausgeschöpft ist — zumindest hinsichtlich der Aufnahme in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung.

Wir wissen nun nicht, inwieweit es bereits ein verfassungsgerichtliches Urteil bezüglich der leistungsgerechten Entlohnung gibt. Das ist jedoch hinsichtlich der beabsichtigten Sammelklage völlig unerheblich, denn hier reicht das Urteil gegen das Begehren eines einzigen Anstragstellers aus. Ein einziger solcher Beschluß hat generelle Wirksamkeit.

Und gäbe es einen solchen Beschluß noch nicht, dann brauchte man den gesamten Instanzenweg nicht mit möglichst vielen, sondern mit lediglich dem Fall eines einzigen Gefangenen zu begehen.

Das bedeutet also im Klartext, daß die „Solidarität e.V.“ lediglich das Urteil gegen den Antrag eines einzigen Gefangenen benötigte, um damit nachzuweisen, daß nunmehr ein Entscheid des Europäischen Gerichtshofes und der Europäischen Menschenrechtskommission vom rein juristischen her zulässig wäre, wobei zweifelhaft die Frage der Begründetheit bliebe. Ehe also der Europäische Gerichtshof eingeschaltet werden kann, muß der gesamte nationale Instanzenweg ausgeschöpft sein.

Allerdings wurde dabei nach unserer Ansicht von der Solidarität und dem Anwalt H., die es hätten wissen müssen, bewußt verschwiegen, daß bereits nur eine durchgegangene, also positiv beschiedene Klage auch beim Europäischen Gerichtshof ausreichen würde, um alle Gefangenen in den Genuß dieses Lohnausgleichsbegehrens zu bringen.

Der absolute Gag ist es, in der Werbeanzeige klarmachen zu wollen, daß eine Sammelklage verfertigt wird und jeder, der 75 DM bezahlt, Kopien aller in seinem eigenen Namen durchgeführten Schriftsätze erhält. Es wird mit hoher Gewißheit bei der Einzelkopie der gleiche Text, der vorher in einem Computer gespeichert wurde, auftauchen, nur daß jeweils ein anderer Name eingesetzt wird.

Die angedienten „sporadischen Sachstandsberichte“, von denen in der Anzeige die Rede ist, erschöpfen sich zumindest bei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, nachdem die Antragsschrift inklusive der notwendigen Nachweise eingereicht sind, in einem oder zwei Schreiben — negativer oder positiver Bescheid. Großartige Beweisführungen oder —erhebungen gibt es da nicht, so daß auch eine „Zwischenmeldung“ ergehen könnte. Der Europäische Gerichtshof schreibt keine Zwischenberichte. Er entscheidet nach dem, was ihm eingereicht wurde. Damit hat sich das Verfahren.

Es ist keineswegs so, wie das hier aus Verfahren wie z. B. vor der StVK mit den sich abwechselnden Stellungnahmen und dem ganzen Hin und Her bekannt ist. Demzufolge kann es auch einen Sinn haben, Zwischenberichte in der angeführten Form zu geben. Es steht jenseits von Ignoranz und Hohn, dafür von jedem Gefangenen 75 DM zu verlangen und auch zu glauben, es merkte niemand, auf welcher Grundlage solch spezielles System basiert.

Wie wir schon geschrieben haben — eine einzige vom Europäischen Gerichtshof positiv beschiedene Klage hätte generelle Auswirkung auf alle Gefangenen in der BRD! Wenn man davon ausgeht, es könnten sich möglicherweise nur 1.000 Gefangene einer solchen Sammelklage anschließen (was bei der Gesamtzahl der Gefangenen in der BRD 1 Prozent ausmachte und von daher nicht unrealistisch wäre), dann hätte sich die Solidarität inklusive ihres Anwalts für einen einzigen Klagetext 75.000 DM zur Brust geführt! Und das bei einer Sache, die mit einem unter einem einzigen Namen einzureichenden Antrag dieselbe Wirkung auf die Gesamtheit der Gefangenen bezogen hätte.

Das hat mit Frechheit und Unverschämtheit nichts mehr zu tun! Es ist ein totales Trauerspiel, daß eine Organisation, die sich angeblich so um das Wohl der Gefangenen sorgt, mit Hilfe des Rechtsanwaltes H. das letzte bißchen Vertrauen und Gutgläubigkeit der ohnehin nach jedem Strohhalm greifenden Inhaftierten ausnutzt, um so die schnelle Mark zu machen.

Die SOL-Verantwortlichen und dieser Rechtsanwalt als Mittäter sollten sich schämen — wir denken jedoch eher, daß sie sich schief und krumm lachen, weil die ersten Kohlen vielleicht bereits überwiesen worden sind.

Und... was weg ist ist bekanntlich weg. So einfach ist das — und nicht nur bezogen auf das sauer verdiente Geld, sondern auch auf das Vertrauen und den Glauben, daß sich wenigstens solche Organisationen aus lauteren Motiven für die Interessen der Gefangenen einsetzen. Oliver Palmes (aus der „Posaune“, Gefangenenzeitung der JVA Geldern)

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