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Das Volk guckt, und der Kanzler feiert

In Schwerin feierten Regierung und ein bißchen Volk den 2.Jahrestag der Deutschen Einheit/ Unmut war nicht erwünscht/ Gegenveranstaltungen von DGB, Komitees und PDS  ■ Von Bettina Markmeyer und Bascha Mika

Zwei Jahre Deutschland, der Herbst kommt, die Regierung feiert. Schwerin wacht nur langsam auf. Das Volk hat frei. Die Innenstadt steht voller strahlend weißer Buden. Die zweite Farbe dieser Feier ist grün. 3000 PolizistInnen und GrenzschützerInnen sind angerückt. In den Altstadtgassen, auf Hinterhöfen, rund um den Dom, am Schloß, hinterm Theater, auf den Ausfallstraßen, überall stehen Passats, Wannen, grüne Barkasbusse, überall lungert die vereinte Ordnungsmacht.

Ein zartes „Buh“ und ein klägliches Klatschen begleiten den Bundespräsidenten auf dem Weg zum ökumenischen Einheitsgottesdienst. Den Regierenden Bürgermeister der Hauptstadt kennt hier niemand, Eberhard Diepgen entschwindet unbelästigt. Norbert Blüm hingegen wird, bevor er zum Beten darf, flugs in eine weltliche Diskussion über real nicht existierende Arbeitsplätze verwickelt. Neben dem Kirchenvolk, das der Messe zustrebt, stehen am Dom gegen 10 Uhr früh nur wenige ProtestlerInnen. Eine PDS-Zeitung wird verteilt, die Sonne scheint, und ein 18jähriger Irokese aus Berlin plappert ins Mikro einer Rundfunkreporterin, was alle wissen wollen, nämlich daß „hier nichts groß abgehen soll von wegen Gewalt und so“.

„Weil du gibst, müssen wir nicht sparen“

„Warum habt ihr Angst, ihr Kleingläubigen?“ Wahrhaft ermutigende Worte, die der Kanzler der Einheit seinem Volk hätte zurufen können. Aber das Copyright ist 2.000 Jahre älter. So sprach Jesus zu seinen Jüngern, die sich auf stürmischer See fürchteten, und so wird es am Samstag morgen im Dom zu Schwerin verkündet. Weil es nicht so einfach ist mit den Deutschen im großen ganzen, empfiehlt man sich zum Auftakt der offiziellen Feier dem ganz Großen. Richard von Weizsäcker, Helmut Kohl und seine Bonner Riege senken andächtig die Köpfe, zucken irritiert wieder hoch. Pfiffe und Schreie hallen zwischen den Säulen, die Gebete Unzufriedener. Doch rasch wird es wieder still.

„Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen“, intoniert die Gemeinde. Helmut Kohl guckt gen Himmel hoch und dann auf Hannelore hinunter. Die singt nicht mit. Landesbischof Stier klettert auf die Kanzel und richtet den Blick fest auf die Fernsehkameras. Daß wir zum 2. Mal in diesem Jahrhundert davongekommen seien, predigt er, und daß wir nun der „Gewalt der Worte und Fäuste Einhalt“ gebieten müßten. Kohl wirft einen Blick zur Kanzel.

Draußen improvisieren dreißig Jugendliche eine Minidemo: „Nie wieder Deutschland, nie wieder Deutschland!“ Die Politprominenz hat den Dom verlassen. Eier und ein Feuerwerkskörper fliegen. Minister Rühe und sein Kollege Blüm werden von DemonstrantInnen bedrängt. Die Polizei greift zu, die ersten zwanzig Festnahmen. Eine Frau wird überrannt und muß ins Krankenhaus gebracht werden. Wenn die Demokratie Einheit feiert, duldet sie keine Störung.

„Wo ist die Sichel, wo der Hammer?“

Weit weg vom offiziellen Feiergeschehen halten die Komitees für Gerechtigkeit ihre Gegenkundgebung ab. Rockmusik und rote Fahnen vor der Kulisse des städtischen Elektrizitätswerks. Barbara Thalheim, Sängerin und Mitbegründerin der Komitees, steigert sich in einer poetisch-politischen Eloge zu Fragen wie dieser: „Wo ist die Sichel, die in meiner Kindheit goldene Ähren mähte, wo der Hammer, der die Sichel schmiedete?“ Das gefällt den zahlreichen PDS- Mitgliedern unter den etwa 500 ZuhörerInnen, die mit dem Sonderzug aus Pankow angereist sind.

Einhellige Meinung in diesem Teil Schwerins: Es gibt nichts zu feiern — oder jedenfalls fast nichts. Die Einheit ist eine „Vereinnahmung“ (Thalheim), und die Rechten sind auf dem Vormarsch. Man ist arbeitslos, hat jetzt zwar Westmark, aber nicht genug, man will DT 64 auf UKW, Entschädigung vor Rückgabe, Sanierung anstelle der „dogmatischen Privatisierung“ durch die Treuhand (der Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Lorenz Schwegler), frau will Kindergärten, Krippen, keinen Paragraphen 218, Mietenstop und eben: Arbeit. „Warum macht man es uns so schwer, selbst das Geld zu verdienen, das wir brauchen?“, fragt Stefan Heym. Seine Worte und die Rede des PDS-Vorsitzenden Gregor Gysi sind Seelsorge für die EinheitsverliererInnen. Was zu tun sei, wisse auch er, Heym, nicht. Aber: „Sie sind das Volk. Sie haben doch schon einmal eine unfähige Regierung überredet, sich davonzumachen.“

„Deutschland ist weder Schlagwort noch Schlagstock“

Nach Kohl und Weizsäcker kommt nur noch der Dirigent. Der Staatsakt beginnt mit leicht-fröhlichen Klängen. Landwirtschaftsminister Kiechle entschlummert sanft. Die erste Reihe im Schweriner Staatstheater gibt Auskunft über die Verhältnisse in diesem Land. 22 Menschen sitzen da auf roten Polstern: 16 Männer, sechs Frauen; 17 Westdeutsche, fünf Ostdeutsche.

„Demokratie“, zitiert der Gastgeber und Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern in seiner Ansprache Ricarda Huch, „ist eine Sache der Gesinnung.“ Und beweist seine, indem er die neuen Plagen seiner Landsleute aufzählt: „organisierte Kriminalität, Drogenhandel und Asylmißbrauch“. In einem Atemzug.

Ganze 15 Minuten vergehen, bis er — der als Landesvater die Überfälle von Rostock politisch zu verantworten hat — sich der Gewalt gegen Flüchtlinge zuwendet. Allerdings gilt seine Hauptsorge dem Ansehen Deutschlands im Ausland und dem „ständig wachsenden Zustrom von Asylbewerbern“. Zum Schluß bedankt sich Seite beim Einheitskanzler, daß er „in Frieden und Freiheit“ leben darf. Daß läßt sich Kohl gerne gefallen. Sein Specknacken kräuselt sich freudig.

Der Bundespräsident spricht. Wie üblich verabreicht Richard von Weizsäcker dem Volk ein Stück Wahrheit — unpathetisch und zur besseren Verträglichkeit in homöopathischer Dosis.

„Kennst Du mich? — Das finde ich gut!“

Das Verhalten gegenüber den Flüchtlingen macht der Präsident „zum Prüfstein für unsere ganze demokratische Ordnung“. „Unsere Verfassung sagt uns in ihrem Artikel 1 unmißverständlich, wofür wir einen Fremden zu halten haben: nicht für schlimmer als nichts, sondern für einen Menschen in seiner unantastbaren Würde.“ Deutschland sei „weder Schlagwort noch Schlagstock“. So milde der Bundespräsident die Geißel auch schwingt, klarere Worte sind von einem Politiker dieser Republik kaum zu erwarten. Und dann singt ein Chor „Einigkeit und Recht und Freiheit“ und die Gäste im Parkett brummen mit. Und jetzt zum Volk!

Das brummt nicht, singt auch keine Hymne, sondern steht brav hinter den Absperrungen und wartet. „Bürgerbegegnung“ nennt sich dieser Akt. Ein paar BürgerInnen wollen keine Begegnung, brüllen: „Haut ab!“ Doch die meisten freuen sich, als Blüm über'n Zaun in die Menge klettert. Rita Süßmuth versucht es auf der rechten Seite, kommt nicht durch und dreht ab. Helmut und Hannelore dirigieren ihre Bodyguards vorsichtshalber gleich in Richtung der Innenstadt-Neubaublocks, wohin sie außer Presse und Polizei niemand begleitet. Nur ein paar „Helmut“-, „Helmut“- und „Danke Helmut“-Rufe folgen ihnen. Erst am Sozialministerium kommt wieder Leben in des Kanzlerpaars Begegnung mit dem Volk. „Kennst du mich?“ fragt Hannelore ein Schulkind. Und auf das andächtige „Ja“, antwortet sie: „Das finde ich gut.“ Kohl kriegt in der drängelnden Menge einen Schlag auf den Bauch. Das findet er weniger gut. Sein Trupp fällt auf dem Mittelalter-Markt kostümierter Gaukler und Handwerker ein. Ein Jongleur läßt die Keulen fallen, Fotografen trampeln auf die Bühne einer Musiktruppe, überrumpelt bringt der Sackpfeifenspieler dem Kanzler ein Ständchen: Tanz des Bären.

„Helmut, red' doch mal mit uns“, fordern ein paar Jugendliche. Aber da ist Kohl schon weiter, und der maskierte SEK-Trupp, der wenig später mit dem Befehl erscheint, „die Störer festzunehmen“, findet auch die Jugendlichen nicht mehr vor.

Nebenan, auf dem Kinderfestplatz steht im Würstchenduft Oskar Lafontaine, zupft an einer kleinen Eiche und kommt tatsächlich dazu, mit BürgerInnen ein paar Sätze über „die katastrophale Wirtschaftspolitik“ der Bundesregierung zu wechseln. An der Demonstration für Demokratie und Menschenrechte, zu der der DGB aufgerufen hat, beteiligen sich unterdessen etwa 3000 Menschen. Die PDS hat ihren „Einheiz- Markt“ ins Schweriner Neubaugebiet Großer Dreesch verlegt. Eingeheizt wird aber nur den Rostbratwürstchen auf dem Grill. Auch die Puhdys machen aus der matten Veranstaltung kein trotziges Fest.

Während sich 2.000 zur PDS gesellt haben, spazieren rund 50.000 in der komplett abgeriegelten Innenstadt volksfestmäßig von Bude zu Bude. — Halb so viele wie erwartet. Doch noch einmal wollen welche demonstrieren, statt zu feiern. Rund 150 Jugendliche schließen sich zusammen, vermummte und nichtvermummte, ein paar Steine und Farbbeutel fliegen. Passanten werfen Flaschen auf den Zug, als er sich der Staatskanzlei nähert. Sehr viel weiter kommen die DemonstrantInnen nicht. Ein Sondereinsatzkommando stoppt die Kids, kesselt sie ein, knufft hier, drückt da, läßt sie eine halbe Stunde schmoren. Bundesgrenzschutz rückt zu Verstärkung an.

Die Beamten öffnen den Kessel zu einer Seitenstraße hin, drängen die Jugendlichen hinein. Dort wartet nicht die Freiheit, sondern der Hinterhof der Polizeiwache. Die Kids wehren sich. Die Uniformierten stoßen, drängen, schlagen, ziehen an den Haaren. Dann sind — wie die Polizei später bestätigt — 75 festgenommen und in die eigens für die EinheitsdemonstrantInnen eingerichtete Gefangenensammelstelle in Schwerin-Neumühle abtransportiert.

Ministerpräsident Seite bedankt sich bei der Polizei. „Ich habe genau so viele Beamte angefordert, wie wir brauchten.“ Den überzogenen Polizeieinsatz gegen angeblich „300 gewaltbereite Störer“ hält er für angemessen. „Denn sonst“, so der derzeitige Bundesratspräsident, „hätten wir hier nicht so ruhig feiern können.“

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