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■ Die Feiern zum zweiten Jahrestag der deutschen Vereinigung waren ein Signal: So kann es nicht weitergehenWestbesuch in Schwerin

Wenn ich Mecklenburger Herrgottsmaler wäre, der immer aufs neue nachdenken muß, wie Gottvater im vorpommerschen Bild auszuschauen hat, für mich gäb' es nur das Modell Richard von Weizsäcker. Der Mann ist wirklich rundherum perfekt. Er spricht fast immer zum rechten Augenblick die rechten Sätze. Mitunter auch ein wenig zu spät. Aber selbst Gott greift oft genug zu spät zum Wort. Häufig schweigt er überhaupt.

Von all den Auftritten in Schwerin am Wochenende war der von Weizsäckers am maßvollsten. Seine Rede am genauesten. Gleichwohl kaum verbindlicher als die der anderen Redner. Leider nur wenige Worte über ein zerrissenes Volk, dessen Majorität in wilde Klagen ausbricht und düstere Zukunftsvisionen heraufbeschwört, bevor die Geißel Teilen überhaupt aktiviert wird. Und wenig Konkretes über die Situation der Minorität, deren Angehörige mittlerweile schon wieder bei Annäherung eines bestimmten Personenkreises die Stimme senken, um nicht schon am Dialekt ermittelt, gestellt und strengstens einvernommen zu werden. An der Haltung und den Klamotten merkt man's ohnehin. Diesmal freilich duckt man nicht mehr vor der Stasi, man geniert sich halt wegen mancherlei ererbter Ostgebresten vor den Brüdern und Schwestern aus dem Westen.

Gleichwohl. Die Feiern zum zweiten Jahrestag der Vereinigung waren zumindest eine Bestandsaufnahme und ein Signal, das ohnehin schon jeder lange kennt, doch kaum jemand wahrhaben wollte, ein Signal, daß es jedenfalls so nicht weitergehen kann im neuen Deutschland.

Und beklemmend war das Ganze. Es war halt wie immer bei einem Westbesuch seit 1961. Trotz verordneter konfektioneller Abstinenz hat man den Besuch sofort erkannt. Auch am krampfigen Bemühen, sich nicht abzuheben von den Ostlandeskindern. Das sollte man immerhin würdigen, wie die neue Nachdenklichkeit auch im Westen.

Die Botschaft von Schwerin: Geduld. Wir sind auf dem guten Wege, trotz Entgleisungen der Straße. Zweifel daran müssen erlaubt sein. Kein Zweifel aber an den Kassandrarufen der Arbeitnehmerverbände. Wenn es denn so weitergeht mit dem Ausländerhaß in Deutschland und dem Antisemitismus, nimmt die Wirtschaft Schaden, weil nämlich der größte Teil des Reichtums aus dem Ausland kommt.

Also vorrangig nicht die Moral, sondern wie stets: der Profit ist das Panier. Knallhart diese Botschaft, aber immerhin ehrlich und deshalb für die Zukunft hoffnungsvoll. Henning Pawel, Erfurt

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