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Nachschlag

■ Detektor Tanztheater in der Theatermanufaktur

Als dritte Veranstaltung des Berliner Tanz-Herbstes in der Theatermanufaktur zeigte die Gruppe »Detektor« in der letzten Woche ihr neues Stück, das trotz des schaurigen Titels »Das Gedächtnis des Wollustgenerators« eine raffiniert gebaute und ungemein komische Mischung aus Tanz und Schauspiel bot. Ort des Geschehens ist ein Fernsehstudio, das Personal besteht aus einem schmierigen Moderator (Johannes Hupka), zwei Monitoren und zwei Tänzerinnen (Frauke Havemann und Sigrid Spachtholz).

Es beginnt mit einer Katastrophenmeldung, die klingt, als habe der Autor und Regisseur des Abends — es ist der Amerikaner Mark Johnson — zu viel William S. Burroughs gelesen: Durch eine über der Stadt hängenden Wolke wird das Gedächtnis und das Sprachvermögen der Menschen wie von einem Virus zersetzt. Routiniert bittet der Moderator die Zuschauer, Ruhe zu bewahren und überläßt den Tänzerinnen die Bühne. Zu collagierter Rockmusik der Avantgardeband »Serious Solid Swineheard is Better than Homecooked« — sie klingt nach Tanzmusik aus Interzone — bewegen sich die Tänzerinnen wie gut geölte, völlig leblose Puppen: Maschinen des Entertainments. In die sterile Atmosphäre des Fernsehstudios, in der noch die feinste Körperbewegung inszeniert und gnadenlos kontrolliert ist, bricht durch diverse Telefonanrufe immer wieder die Katastrophe ein: Offenbar gerät die Welt außerhalb des Studios langsam außer Kontrolle.

Interessanter ist, daß auch die TV-Marionetten nicht mehr funktionieren: Der Moderator vergißt seinen Text, eine Tänzerin springt den Showmaster an, der völlig hilflos auf diese Attacken reagiert. Schließlich setzt die Musik aus, eine Tänzerin bleibt wie tot liegen, der Moderator ignoriert die Befehle der Studioleitung und läuft verwirrt und ohne seine glatten Sprüche stumm über die Bühne: Die Ordnung geht ins schönste wirre Durcheinander über, und das Korsett der Unterhaltungsindustrie platzt. Dieses Herausbrechen aus der puren Funktion wird als körperlicher Vorgang gezeigt: die Tänzerinnen lösen sich aus der starren Form und bewegen sich gelöster, weniger symmetrisch, werden aus Maschinen wieder zu Leibern.

Auch der Moderator scheint zum ersten Mal seinen Körper zu entdecken, er tanzt sogar zaghaft mit. In der restlos verwalteten Welt wird die Katastrophe, das Zusammenbrechen der Ordnung, zur Voraussetzung der Freiheit. Am Ende des Abends rollt der Moderator, der kein Moderator mehr ist, riesige Tontöpfe auf die Bühne und läßt sie sich umkreisen. Ein grandioses Bild, zu dem sich die Tänzerinnen in einem fröhlichen Delirium der Lust bewegen: »Was kann es auch Gewisseres für den Menschen geben als das, was er an seinem eigenen Körper erlebt und empfindet?«

Die Gruppe »Detektor« will die Inszenierung nach dem — zu kurzen — Gastspiel in der Theatermanufaktur demnächst im Tacheles wieder aufnehmen. Peter Laudenbach

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