piwik no script img

Drei Mark mehr

Die Buchmesse 1992: Kant enttarnt, Rowohlt gemahnt, Deutschland gewarnt  ■ Von Elke Schmitter

Wer die Frankfurter Buchmesse betritt, wird unmittelbar von einer tauben Gedankenarmut geschlagen, nächstens von einem wilden Haß auf Bücher und zu guter Letzt von einer tiefen Verachtung des Menschengeschlechts. Die Verlegerinnen und Lektoren, im Berufsleben ansonsten verträgliche, arbeitsame und nicht selten dem Höheren verpflichtete Personen, haben bereits am zweiten Tage von Alkohol und rüden Exzessen auf den sich ablösenden Empfängen rotunterlaufene Augen und sprechen nur noch in schwer verständlichen Chiffren von Preisen, Lizenzen und Auflagen. Die AutorInnen, naturgemäß von Geist und Narzißmus zehrend und bald abgezehrt angesichts der anhängigen Buchindustrie, welche ihre intime Gedankenarbeit bis zum positivistischen Totschlage umwälzt (128.000 neue Bücher pünktlich zum Start der Messe am 30.September), fühlen sich alsbald überflüssig, können sich aber aus Eifersucht nicht zusammenrotten und promenieren so mit einem vorsorglich beleidigten Gesicht einsam durch die Gänge. Wo besonders viele Menschen stehen, verweilen auch sie, von der wilden Angst gepeinigt, ein berühmterer Kollege könne die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben: doch es sind nur Mutter Beimer, die in personam rundam ihr selbstverfertigtes Kochbuch präsentiert, sowie Betty Mahmoody, die in diesem Jahr ganz ohne ihre Tochter auf die Buchmesse kam. Die KritikerInnen schließlich, ganz Damen und Herren der Lage, wandern je nach Gewichtsklasse bepackt (arme Leute) oder freihändig (wichtige Medien), ebenfalls ganz für sich, durch Volk und Welt und lauern darauf, erkannt zu werden wie die Frau von Amoz Oz. Treffen sie einander, lächeln sie süß und tückisch und geben vor, das letzte Werk jeweils zur Kenntnis genommen zu haben. Die vergebenen Auszeichnungen 1992 (der Peinlichkeitspreis der deutschen Verleger an den Rowohlt Verlag; der Rushdie-geht-mich-gar-nichts-an- Preis an Peter Weidhaas; der Bügelpreis des Deutschen Buchhandels an Frau R.S., die für insgesamt fünf tätige Herren die Oberhemden auf Falte richtete) werden kurz diskutiert und dann vergessen.

Kundgebung zum Rassismus

Soviel zum Unernst der Lage. Aus der völligen Bedeutungslosigkeit wurde die diesjährige Buchmesse gerissen durch eine Verlagsinitiative „Artikel16“, die sich hierorts zusammenfand. Den Beginn machte eine Anzeige gegen Ausländerfeindlichkeit, die in dieser wie in anderen Zeitungen erschien — einzig die Ostsee-Zeitung mit ihrem für die angesprochenen Sachverhalte nicht uninteressanten Verbreitungsgebiet verweigerte den Abdruck. Eine Kundgebung auf der Messe, kurz vor Beginn der Demonstration in der Innenstadt am 3.Oktober, organisiert von der Frankfurter Literaturzeitschrift Listen, gab den Lokaltermin. An die hundert Verlage schlossen ihre Stände ganz oder arbeiteten mit halber Besetzung, um in der publikumsrelevanten Zeit am Samstag Mittag an der Versammlung auf dem Messegelände teilzunehmen. Dort erinnerte Peter Härtling an die Bedeutung des Artikel16 für die Geschichte Deutschlands und seinen historischen Vorläufer, eine Formulierung Jacob Grimms für die Frankfurter Nationalversammlung 1848: „Das deutsche Volk ist ein Volk von Freien, und deutscher Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei“ (mit 13 Stimmen Mehrheit abgelehnt). Klaus Wagenbach sprach über die Bedeutung des Wortes „Asyl“, das, einmal eine stolze Errungenschaft, nun herabgekommen sei zu einer Unglücksmeldung. Er gab die Gründung einer Stiftung bekannt, die Bücher ausländischer Autoren Bibliotheken in der ehemaligen DDR zur Verfügung stellt; ein gemeinsames Buchprojekt ist in Vorbereitung; eine Unterschriftensammlung gegen die Änderung des Grundgesetzes läuft.

Belange der Humanitas

Veranstaltungen sonder Zahl fanden wie jedes Jahr statt; vor allem die Diskussionen des Frankfurter „Palais Jalta“ mit osteuropäischen Autoren waren gut besucht. Die Veranstalter scheiterten hier allerdings hin und wieder an der Simultanübersetzung der Beiträge, die auch subtilen Formulierungen den Charakter der stockenden Verlautbarung verleiht, was bei Themen, die vom Höchsteinsatz der Rhetorik leben — wie die Liebe, die Melancholie und der literarische Widerstand — dem Gedankenaustausch unzuträglich ist. Wie jedes Jahr waren die spontanen Aktionen allerdings die interessantesten: der Rowohlt Verlag, welcher sich, vermutlich nach schwerem Ringen, zur Übersetzung eines neuen Buches von Peter Singer („Should the Baby Live? The Problem of Handicapped Infants“, mit Helga Kuhse) entschlossen hat, wurde von einer Krüppelinitiative am reibungslosen Ablauf seiner Rosamunde-Pilcher-Präsentation gehindert und brachte, in Vorahnung des Skandals, eine Pressemeldung heraus, die selbst einen solchen darstellt. Nach länglichen Erläuterungen, die uns mit der Geschichte des Verlages („bis zur Bücherverbrennung“) vertraut machen und in schönster Sachlichkeit Humanitas zur Sprache bringen („Der Rowohlt Verlag hat sich in der Vergangenheit für Belange von Behinderten in Deutschland eingesetzt und wird dies auch in Zukunft tun.“), mahnt er in wohlgesetzten Worten die Sprachlosen und nicht Diskurswilligen für alle Zukunft mit historischem Feinsinn ab: „Der Vorwurf des Faschismus fällt auf jene zurück, die sich mit radikalen Aktionen jeglicher Diskussion verweigern und allen Argumenten verschließen.“ Soviel zur Aussprache; das Verschweigen lohnt auch die Erwähnung: Die Messeverwaltung, welche in ihren Eröffnungsansprachen den Fall Rushdie unerwähnt ließ, stellte der Rushdie-Initiative, die in diesem Jahr von den NRW-Grünen getragen wurde, einen Standort im unverfügbaren Raum zur Verfügung: far out of space, gleich neben „Writers in Prison“ und, dem kollektiven Unbewußten entsprechend, in einer Linie mit den Toiletten, wo abgespült wird, was unverdaulich ist. Der Besuch war entsprechend.

Nicht verschwiegen, aber weitestgehend unbehandelt blieb der Fall des Autors Hermann Kant, der aparterweise während der Messe im Keller der Frankfurter Jugendherberge aus seinen „Abspann“-Erinnerungen las: ob „Martin“ oder Meineid, brachte niemanden mehr zum Stirnrunzeln, und der Aufbau Verlag hat die Autobiographie des H.M. Kant schließlich schon weitestgehend abverkauft.

Das obligatorische Stöhnen über den Rückgang des Marktes, die Schwierigkeiten der Verlage vor allem mit Gegenwartsliteratur und die der Buchhandlungen vor allem im Osten klang so ernst wie jedes Jahr. Aufs flüssigste konterkariert wurde es von Siegfried Unseld bei seinem KritikerInnen-Empfang, wo der Suhrkamp-Chef, dem Vernehmen nach, die Krise der deutschen Verlage erst gründlich abmoderierte („17 Prozent Umsatzsteigerung in diesem Jahr“), um im Anschluß die solvente Lage des Hauses prozentgerecht zu repräsentieren: der Wein in diesem Jahr, so gab er stolz bekannt, sei ganze drei Mark teurer die Flasche als der vorjährige. Keinen Aufschluß gab es darüber, womit das Haus seine Umsatzsteigerungen erzielt, so daß die Vermutung bleibt, daß Suhrkamp, wie alle anderen Tanker, von der Backlist zehrt. Wer Klassiker nicht im Angebot hat — wie die Neugründungen der letzten Jahre, wie die engagierten Kleinverlage seit den Sechzigern — fürchtet mit Recht um seine Existenz. Die politische und intellektuelle Abdankung der Buchmesse ist in den letzten Jahren durch die Rushdie-Vermeidungs-Politik, in diesem Jahr außerdem durch die offizielle Zeichenlosigkeit gegenüber Rostock und den Folgen endgültig geworden. Hoffen wir Alphabetisierten, daß der Trubel wenigstens dem Schrifttum in merkantiler Weise förderlich ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen