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»Betroffen und verweint«

■ Dritter Verhandlungstag gegen Mike L., der im April dieses Jahres in Marzahn einen Vietnamesen tödlich verletzte/ Das Bild vom skrupellosen Neonazi ist völlig falsch

Moabit. Wem hilft es eigentlich, einen Jugendlichen, der einen Ausländer mit dem Messer erstochen hat, automatisch in die Schublade des skrupellosen Neonazis zu schieben? Ist es nicht viel schlimmer, wenn heutzutage schon einer aus der rechten Peripherie blindlings zusticht? Weil er wie praktisch alle seine Kumpels bewaffnet ist, weil er sich bei der vorangegangenen Rangelei mit einigen vietnamesischen Zigarettenhändlern im April vor der Kaufhalle in Marzahn »bedroht« fühlte, weil so viele in seiner Umgebung von der »Bedrohung« durch die Ausländer reden. Fragen, die sich im Prozeß gegen den 22jährigen Maurer Mike L. immer mehr aufdrängen — auch angesichts der Zeugenvernehmungen am dritten Verhandlungstag.

Es tritt der Kriminalbeamte Michael D. auf, der den Angeklagten nach der Tat verhört hat. »Verweint« sei dieser gewesen, und »betroffen«. Angesichts des pausbäckigen Jungen, der stets brav und ruhig neben seinem Verteidiger Stefan König sitzt und mit ängstlichen Augen auf die Richter schaut, kann man sich das durchaus vorstellen. Auch die Vernehmung selbst sei »sehr ruhig und sachlich« verlaufen. Allerdings habe Mike L. immer wieder darauf hingewiesen, daß er »in Notwehr« gehandelt habe.

Andrea U., Leiterin des Jugendclubs »Extrabreit«, in dem der Angeklagte und seine Kumpels verkehrten, kann über den Tathergang selbst nichts berichten, aber über den Menschen. »Mike ist sehr hilfsbereit aufgetreten«, sagt sie, »und ich habe seine Hilfe auch recht oft in Anspruch genommen.« Sei er manchmal alkoholisiert gewesen? »Ja, angetrunken.« Seien sein Haarschnitt und seine Kleidung auffällig gewesen? »Nein, unauffällig und angepaßt.« Nur am Tattag habe er besonders kurze Haare getragen, weil er wohl gerade vom Friseur gekommen sei, aber auch die hätten »nicht dem Haarschnitt der Rechtsradikalen« entsprochen. Habe er ausländerfeindliche Sprüche gemacht? »Ich kann mich nicht erinnern«, sagt sie vorsichtig. Andere im Jugendclub seien »schon ausländerfeindlich«, ergänzt sie dann, »aber Mike sah bei bestimmten Problemen wie der Arbeitslosigkeit, daß diese über die Politik und nicht über die Ausländer geklärt werden müßten.« Wisse sie etwas davon, ob der Angeklagte, wie es in einem Pressebericht hieß, Anhänger der rechtsextremen DVU sei? Nein, das sei ihr nicht bekannt.

Etwas aber fällt der um eine positive Darstellung des Angeklagten bemühten Clubleiterin noch ein: Mike L. habe im Club »eher zur friedlichen Seite« geneigt und Prügeleien »eher versucht zu verhindern«. usche

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