Wahlen im High-Tech-Patriarchat

■ In den kuwaitischen Parlamentswahlen hat die islamistische Opposition einen Großteil der Sitze errungen/ Nur 12 Prozent der Kuwaitis durften wählen — ausgeschlossen waren nicht nur die Frauen

Kuwait City/Berlin (AP/wps/ taz) — Im neugewählten Parlament des Emirats Kuwait dominiert eine wenn auch handverlesene Opposition: Vorsichtig kritisch zur Regierung eingestellte Gruppierungen und Kandidaten von der liberalen und der islamisch-fundamentalistischen Seite errangen eine Mehrheit von 35 der insgesamt 50 Mandate. 15 Abgeordnete gelten nach dem am Dienstag veröffentlichten Ergebnis als Anhänger der Regierung. 19 Mitglieder der künftigen Opposition verfolgen einen fundamentalistischen Kurs. Sie treten für die Umwandlung des Emirats in einen allein auf islamisches Recht gegründeten Staat ein. Stimmberechtigt waren nur Männer, deren Familien seit mindestens 1921 in Kuwait ansässig sind, insgesamt gerade 12 Prozent der Bevölkerung.

Männer in weißen Dischdaschas waren am Montag zu Tausenden in der kuwaitischen Hauptstadt unterwegs, um von ihrem Vorrecht als Wähler Gebrauch zu machen. Zwischendurch kniete man zum Gebet nieder — neben sich das drahtlose Telefon. Zeugen berichten von Stimmenkauf — 700 Dollar scheint der durchschnittliche Preis gewesen zu sein, der vor allem Beduinen für die „richtige Wahl“ bezahlt wurde.

„Sie haben wohl zu lange in der Sonne gestanden“, kommentierte ein kuwaitischer Polizist den Aufmarsch von knapp hundert Frauen, die erfolglos Zutritt zu einem Wahllokal verlangten. Am Wochenende wurden mehrere hundert Palästinenser „aus Sicherheitsgründen“ festgenommen und über Nacht in Haft gehalten. Diese Parlamentswahlen, die ersten seit der Auflösung des Parlaments durch den Emir 1986, wurden im Rundfunk als Symbol von Kuwaits Befreiung, als „Hochzeitsfest der Demokratie“ gefeiert.

Unmittelbar nach der Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung im März 1991 hatte der Emir von Kuwait, Jaber al Ahmad Al Sabah, für mehrere Monate das Kriegsrecht verhängt. Mordkommandos verbreiteten vor allem unter den zahlreichen Ausländern Angst und Schrecken. Hunderte wurden auf offener Straße erschossen oder starben unter der Folter, Zehntausende, vor allem Palästinenser, wurden vertrieben. Aber auch bekannte kuwaitische Oppositionelle fürchteten um ihr Leben und wagten wochenlang nicht, in ihren Wohnungen zu übernachten. Hartnäckig hielten sich Gerüchte, daß die Familie Al-Sabah auch Killerkommandos im eigenen Auftrag arbeiten lasse. Dann folgte die Zeit der Sondergerichte, in denen viele in Schnellverfahren wegen „Kollaboration mit der irakischen Besatzungsmacht“ zu langen Haftstrafen und zum Tode verurteilt wurden. Es war eine Zeit der Restauration, in der das kuwaitische Establishment versuchte, seine erschütterte politische Macht im zerstörten Kuwait wieder zu festigen.

Nach der Befreiung Kuwaits durch die Golfkriegsallianz hatte der aus dem Exil zurückgekehrte Familienclan Al-Sabah eine neue innenpolitische Situation vorgefunden. Und zunächst schien es auch, als könne der Clan seine bisherige Politik, das Emirat wie ein Familienunternehmen zu führen, nicht ohne weiteres wieder aufnehmen. Eine erste Konzession war denn auch der Rücktritt der Regierung, von der kuwaitische Oppositionelle sagten, sie habe Saddam Hussein durch die absolut kompromißlose Handhabung des Konfliktes mit dem Irak regelrecht zur Invasion eingeladen.

Im Exil hatte der Emir weitgehende Versprechungen für zukünftige politische Reformen machen müssen. Er hätte andernfalls riskiert, daß ihm die Opposition nun die Rechnung für jahrelange Unterdrückung präsentiert und die Legitimität seiner Herrschaft offen in Zweifel zieht. Schließlich hatte der Emir bereits seit 1986 ohne Parlament und damit in offenem Widerspruch zur kuwaitischen Verfassung regiert. Im Exil berief er darum einen großen Kongreß aller politischen Gruppierungen im saudischen Dschidda ein, sagte Parlamentswahlen zu und stellte stärkere parlamentarische Kontrolle der Regierungsgeschäfte in Aussicht, ebenso wie das Wahlrecht für Frauen.

Er mußte diese Versprechungen auch aus einem anderen Grunde machen. Sollte die Golfkriegsallianz die Truppen des irakischen Diktators aus Kuwait vertreiben, nur um einem feudalen Familienclan wieder zur Macht zu verhelfen? Dem Verdacht, es gehe im Golfkrieg vor allem ums Öl, war am ehesten abzuhelfen, wenn sich Kuwaits Herrscher wenigstens im Exil von ihrer besten Seite zeigten. Doch damit weckten sie Hoffnungen, die auch nach ihrer Rückkehr weiterlebten.

Viele ihrer Landsleute nahmen es den Al-Sabahs ausgesprochen übel, daß sie vor der irakischen Besatzung ins Ausland geflüchtet waren und in internationalen Luxushotels abwarteten, bis die „Ungläubigen“ ihr Land befreit hatten. Die zurückgebliebenen Kuwaitis, die unter den Schrecken der irakischen Besatzung gelitten hatten, hofften nach der Befreiung nicht nur auf eine innenpolitische Liberalisierung. Sie hatten auch ein neues Selbstbewußtsein erworben, sie dachten, daß sie nun ein Recht auf mehr politischen Einfluß hätten. So dachten auch viele kuwaitische Frauen, die im Widerstand gegen die irakischen Besatzer mitgearbeitet hatten. Doch in den Zeiten des Terrors hat der Clan seine Claims erneut abgesteckt. Die meisten Kuwaitis haben immer noch kein Wahlrecht. Parteien durften sich nicht zur Wahl stellen, sondern lediglich einzelne Kandidaten. Und das Parlament hat keinen Einfluß auf die Zusammensetzung der Regierung. Die wird in den nächsten Wochen vom Ministerpräsidenten und Kronprinzen Saad Abdullah Al-Sabah ernannt. Wer die Wahl wirklich gewonnen hat, wird sich dann zeigen. N.C.