: Reformen gehen weiter
■ Rußlands Präsident stützt Reformer, übt aber ein wenig Selbstkritik
Moskau (taz) — Mit Spannung war Boris Jelzins Auftritt vor dem Obersten Sowjet Rußlands erwartet worden. Wie üblich gab es im Vorfeld Gerüchte, die Existenz der Regierung stünde auf dem Spiel. Das von Konservativen dominierte Parlament würde alles daransetzen, um zumindest den geschäftsführenden Premierminister Jegor Gaidar zu Fall zu bringen, der als Kopf der umstrittenen Wirtschaftsreformen gilt. Doch Rußlands Präsident blieb in seinem Rechenschaftsbericht hart: An eine Auswechslung der Regierungsmannschaft sei nicht zu denken. Gaidar behält seinen Posten und bürgt somit für die Weiterführung des Reformkurses. Und die Parlamentarier sprangen nicht von ihren Plätzen.
Die Duldung hat sich der russische Präsident allerdings durch Zugeständnisse und eine Prise Selbstkritik erkauft. Der Lobby des einflußreichen militärisch-industriellen Komplexes sicherte er Unterstützung zu. Sie werden die Kredite erhalten, um ihre angeschlagenen Unternehmen über Wasser halten zu können. Gaidar hatte demgegenüber eine kompromißlose monetaristische Politik gefordert, um der Inflation Einhalt zu gebieten.
Deutlich läßt sich in Jelzins Korrekturmaßnahmen die Handschrift der „Bürgerunion“ wiedererkennen. Die Union bildet einen Zusammenschluß zentristischer Kräfte, der auch ein Großteil der staatlichen Unternehmensdirektoren angehören. Sie hatte sich im Sommer dem Präsidenten als Stütze angedient, nachdem die radikaldemokratische Bewegung dem Präsidenten keine Massenbasis verschaffen konnte. Zuviel Aufmerksamkeit sei dem Gesamtbild der Wirtschaft, der Makroökonomie, gewidmet worden, zuwenig hätte man an die Kosten für den einzelnen gedacht, gestand Jelzin nun ein. Rentner und Arme dürften mit einer Verbesserung ihrer Lage rechnen.
Die Gründung einer Antikorruptionsmiliz geht in dieselbe populistische Richtung. Sie soll den Mißmut der Bevölkerung gegenüber skrupellosen Geschäftemachern auffangen. Leiter dieser Einheit wird Vizepräsident und Führungsfigur der „Bürgerunion“, Alexander Rutskoi. Nur zwei Minister müssen voraussichtlich ihren Hut nehmen: der Chef der Außenhandelsbeziehungen und der Wirtschaftsminister. Sie pflegen enge Kontakte zum Westen, der die „Bürgerunion“ im Gegensatz zu den Liberalen nicht überbewerten möchte. Ansonsten will Jelzin aber nicht von seinem Privatisierungsvorhaben abrücken. Landreform, Privatisierung des Wohnraumes und die Umwandlung in Aktiengesellschaften seien unabdingbar. Klaus-Helge Donath
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