: Nachschlag
■ »Erst mal was auf's Maul« in der Hochschule der Künste
Der Untertitel führt auf falsche Fährten: »Eine Ausstellung über Gewalt gegen Schwule und deren Diskriminierung«, wie Studenten und Studentinnen der HdK ihr Projekt bezeichnet haben, läßt eine Menge enttäuschter Besucher in die Leere laufen. Gewalt passiert hier nur am Rande und steht nicht, akademisch geweiht, als Gegenstand einer negativen Bildersprache zur Verfügung. Moral wird nicht zum Fetisch gemacht, das kann Klaus Staeck sowieso besser. Statt dessen fällt der Blickwinkel auf Strukturen. Regina Frank sieht in einer Sequenz eines fluchenden Mannes, der aus dem Autofenster brüllt, einen Akt der Aggression, die sie mit oft arglos im Gespräch herausgeschleuderten Kraftausdrücken rund um die Rosettenrhetorik belegt. Ein »Arschloch« rutscht nur allzu leicht von der Zunge, hinterläßt aber ungleich größere Spuren im Kopf. Die »Banalitäten« von Regina Frank sind vielfältig, der Blick des schimpfenden Verkehrsteilnehmers im Staurausch bleibt immer der gleiche. Die Spannung wird noch durch eine Pikanterie im Umgang mit dem Material verstärkt: Frank hat die flotten Anmachersprüche mit Vaseline auf Glas geschrieben. Die Provokation bleibt fast unsichtbar, schleichend.
Nicht weniger spitzfindig: die Werbeplakatwand von Anthony Vickers, der mit einer sehr britischen Karikatur den Umgang der Medien mit Homosexualität thematisiert. Denn was wie ein herzhafter Spott mit leichtem Federstrich in Szene gesetzt wurde, spielt die öffentliche Meinung gegen die — hier väterlich besetzte — Gewalt im Privaten aus. Während Popstars für ihr Bekenntnis zur Homosexualität skandalträchtig auf die Titelseiten der Gazetten kommen, landet der Sohn am Galgen. Der Witz schafft nur eine kurze Erleichterung.
Die Dia-Serie von Stefan Thiel nimmt sich dagegen ungleich komplizierter aus. In Zeitsprüngen rekonstruiert er, wie ein alter Mantel zu einem mit Seidenpenissen geschmückten Modeaccessoire umgenäht wird, und läßt dabei unterschiedliche Erzählebenen einfließen. Frauen im Kaufhaus blicken besorgt, wenn der Protagonist sich bei Woolworth in die Hose pinkelt, Feinripp und Feindseligkeit gehen ineinander über. Die Geschichte nimmt detektivisch eine Spur auf, die niemals zur Auflösung kommt. Tatbestände der Diskriminierung mischen sich mit der künstlerischen Produktion, doch statt Ausgewogenheit des Diskurses entsteht Unsicherheit im Umgang mit der Bilderfolge, die keine herkömmliche Opfer-Täter-Beziehung mehr kennt.
Die Konzeptkunst scheint am Ende der achtziger Jahre nicht an den Problemen vorbeizuführen, die trotz völlig befreiter Körperkultur und Toleranzzwang das Feld der Sexualität bestimmen. Nur so läßt sich an Stefan Thiels Poster Irritation von Geschmacklosigkeit unterscheiden. Als Begleittext zu einem äußerst fotogenen Jüngling steht ein Statement der Verzweiflung: »Mein Freund hat Aids. Ich mag nicht mehr schwul sein.« Harald Fricke
»Erst mal was auf's Maul — Eine Ausstellung über Gewalt gegen Schwule und deren Diskriminierung« ist noch bis morgen in der Neuen Galerie des Fachbereiches 6 der HdK, Grunewaldstraße 2-6, von 16 bis 20 Uhr zu sehen.
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