"Schutz ist das Gebot der Stunde"

■ betr.: "Noch nicht begriffen", Essay von Bartholomäus Grill, taz vom 25.9.92

betr.: „Noch nicht begriffen“, Essay von Bartholomäus Grill,

taz vom 25.9.92

Um den Rassismus zu bekämpfen, brauchen wir „zuallererst ein bißchen mehr Zivilcourage“. Einverstanden. „Der Rassismus läßt sich mit Knüppeln und Paragraphen nicht austreiben.“ Ja, aber: Läßt sich akut aufflammender Rassismus von etwas anderem in Schach halten als von (Polizei-)Knüppeln?

[...] Angesichts verhetzter jugendlicher Gewaltverbrecher und skrupellos applaudierender Bürger halte ich nichts davon, erst einmal in den üblichen Runden ausgiebig Ursachen und Strategien zu diskutieren. Das tun wir schon die ganze Zeit und werden auch zukünftig nicht drum herumkommen. Aber eine Zeit, in der das deutsche Volk erst mal lernen kann, mit Ausländern zusammen zu leben, darf es nicht geben; nicht, wenn während einer solchen Lehrzeit ständig Gesundheit und Leben der ausländischen Mitbürger bedroht sind.

Wie auch immer man die „tieferen Ursachen des Rassismus“ nach „eine(r) große(n) öffentliche(n) Debatte“ benennen würde, eines ist offensichtlich: Da die sogenannten „Argumente“ rechter Rassisten weder von Intelligenz in irgendeiner Form noch Realitätserkenntnis oder gar Logik belastet sind, liegen die „tieferen Ursachen“ ganz sicher nicht in den Bereichen menschlichen Bewußtseins, die als „Verstand“ oder „menschliches Gehirn“ bezeichnet werden. Die Motivation dieser gewaltbereiten, „präsenilen Bettflüchter“ (Dieter Hildebrandt) dürfte sich in jenen entwicklungsgeschichtlich „alten“ Teilen der Hirnmasse finden, die von manchen Verhaltensforschern als das „reptilische“ bzw. „säugetierische Gehirn“ bezeichnet wird. Blöderweise sind diese Bewußtseinsbereiche rationaler Argumentation, dem Predigen von Toleranz und anderen höherentwickelten Idealen nicht zugänglich, im Gegenteil, auf Predigten reagiert der sich bedroht fühlende oder imaginäre Territorien verteidigende domestizierte Primat nur mit gesteigerter Aggressivität.

Daß wir im Verlauf dieser härtesten Belastungsprobe des demokratischen Systems seit 45 feststellen müssen, daß Teile der Bevölkerung sich von den primitiven Relikten in ihrem Hirn leiten lassen, ist entsetzlich, aber ist es wirklich so überraschend?

Wenn hier auf eine Art und Weise agiert wird, wie sie für unsere „Vorfahren“ vor etlichen Millionen Jahren angemessen gewesen wäre, muß auch die Reaktion der „Alpha-Männchen“ (=Machthaber) auf dieser Ebene ablaufen. Die entfesselten Horden gröhlen doch laut genug nach einem „Führer“. Was hier gebraucht wird, ist vorerst keine intelligente Überzeugungsarbeit, sondern eine Eindruck schindende Präsenz der Macht. Und damit meine ich keine verunsicherten Ex-Vopos in Identitätskrise, sondern Wackersdorf- und Wirtschaftsgipfel-geschulte Wessi-Elitetruppen in „schimmernder Rüstung“. (Ja, ganz recht, es sind mittelalterliche Zustände!)

Hier und heute scheint mir das die effektivste Methode zu sein, diese ausgerastete Meute mit der Nase drauf zu stoßen, daß das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch andersartiger oder -farbiger Menschen zu den Regeln des Systems gehört, in dem sie leben. Wenn unsere „Alpha-Männchen“ Bereitschaft signalisieren, an den Regeln selbst (Grundgesetz) herumzubasteln, ist das absolut kontraproduktiv und ermuntert zu immer weiter gehenden Regelübertretungen. Solange in unseren Straßen Pogromstimmung herrscht, wird jeder Versuch, die irrationalen Beweggründe von Rassisten verstehen oder gar auf sie eingehen zu wollen, als Schwäche ausgelegt werden — auch wenn dieser Versuch pädagogisch gut gemeint ist. „Nazis raus“ — so schwachsinnig diese Parole auch immer wieder klingt, wenn man „raus“ mit „nicht gesellschaftsfähig“ übersetzt, macht sie Sinn.

Nein, mir ist nicht wohl dabei, mich gruselt's bei dem Rezept „Staatsgewalt gegen rassistische Gewalt“. Für alternative Ideen wäre ich dankbar, aber bitte welche, die einen sofort wirksamen Schutz der potentiellen Pogromopfer in unserer Mitte implizieren. Denn dieser Schutz ist das Gebot der Stunde — diskutieren können wir dann immer noch. Eva Ulrich, Appel