: „Image“ und „Substanz“
Interview mit Tim Robbins, geführt am 6.9. im Hotel Normandy, Deauville ■ Von Gerhard Midding
taz: Als Schauspieler haben Sie unterschiedlichste Rollen gespielt, bislang aber keine satirische. Bedeutete Ihr Regiedebüt die Chance, Ihr Repertoire zu erweitern?
Tim Robbins: Mit meiner Schauspielertruppe, der „Actors' Gang“, habe ich einige satirische Stücke aufgeführt. Das Theater bietet die Gelegenheit, Dinge zu tun, die im Kino und Fernsehen unmöglich sind. Mein Interesse an der Satire haben natürlich die Engländer geweckt: Ich mag die Filme und Shows der Monty-Python-Truppe; es gibt auf dem Theater und im Fernsehen eine lange Tradition des respektlosen Witzes. Es ist ja nicht einfach, eine Satire zu machen. Einerseits muß sie witzig und unterhaltsam sein, andererseits muß der Humor aber auch respektlos und kontrovers bleiben.
„Bob Roberts“ ist ein gefälschter Dokumentarfilm. Das ist eine ungewöhnliche Form. Für das jüngere US-Kino fallen mir da nur zwei Vorläufer ein: „Zelig“ und „This is Spinal Tap“ von Rob Reiner.
„This is Spinal Tap“ ist einer meiner Lieblingsfilme. Die Form des Dokumentarfilms habe ich deshalb gewählt, weil es in „Bob Roberts“ um Politik geht. Kaum eine Form ist besser geeignet, um den Widerspruch zwischen „Image“ und „Substanz“ zu zeigen. Den wirklichen Bob Roberts lernt man ja nie kennen, der Zuschauer muß sich seine Meinung einzig und allein anhand des Images bilden, das er projiziert. Die große Herausforderung war, dem Zuschauer nach und nach doch ein paar Aufschlüsse über die Substanz zu geben. Das sind meist die kurzen Augenblicke, in denen die Dokumentarfilmkamera auf ihn gerichtet ist, er es aber nicht bemerkt.
War das für Sie als Schauspieler nicht frustrierend: eine Figur zu spielen, die sich nie offenbart, für die es nie einen Augenblick der Wahrheit gibt?
Nein, im Gegenteil: Ich habe es als Herausforderung begriffen, eine Figur zu verkörpern, die ihr Inneres verbirgt. Aber natürlich gibt es einen Punkt, an dem sich eine Figur verrät. In „Bob Roberts“ mußte das ein sehr subtiler Moment sein. Erinnern Sie sich an die Szene kurz vor dem Schönheitswettbewerb, in der die Kamera ihm unablässig durch dieses Labyrinth aus Gängen und Garderoben folgt? Da gibt es einen kurzen Moment, in der Bob an der Kamera vorbeigeht und lächelt. Aber in seinen Augen können Sie sehen, wie wütend er ist, weil ihm der Journalist hartnäckig Fragen stellt.
Bob Roberts ist ein Kandidat ohne Wahlprogramm, aber er hat ein Ziel, auf das er sich immer wieder einschießt: den Zeitgeist der sechziger Jahre.
Es gibt eine Politikergeneration, der die Ereignisse der Sechziger große Angst gemacht haben. Das sind Leute zwischen Vierzig und Fünfzig, die damals die Zeit nicht verstanden, mit denen damals auch niemand etwas zu tun haben wollte! Nun befinden sie sich plötzlich in Machtpositionen. Für die Dan Quayles bedeuten die Sechziger lange Haare, Rockmusik, sexuelle Freiheit, Drogen. Erfolgreich konzentrieren sie das Augenmerk der Wähler nur auf das Image der Sechziger und ignorieren deren Substanz. Warum denken wir heute nicht mehr an die Errungenschaften dieser Zeit, an die Bürgerrechtsbewegung, die Frauenbewegung, an die großen Fortschritte, die überall gemacht wurden? Diesen jungen Konservativen ist es gelungen, all dies in Verruf zu bringen, und eigentlich sollten wir diese Dinge feiern!
Ich glaube, es hat diese Leute zutiefst verstört, daß das amerikanische Volk verlangt hat, daß ein Krieg beendet wird, daß es einen Präsidenten aus dem Amt werfen konnte. Heute wird die Geschichte umgeschrieben. Diese Politiker verbreiten, daß die Presse in Wirklichkeit daran schuld war, daß wir den Vietnamkrieg verloren haben. Sie stellen Watergate als einen kleinen, unwichtigen Schandfleck in der Karriere eines großen Präsidenten dar. Dabei war es beinah der Staatsstreich eines paranoiden, wahnsinnigen Politikers!
Insgeheim erträumen diese Konservativen sich ein Amerika, das von einer männlichen, weißen und christlichen Kaste beherrscht wird. Aber das sind Golfplatz- Phantasien.
Warum ist es in Ihrem Film eine britische Crew, die eine Dokumentation über Bob Roberts' Wahlkampf dreht?
In Großbritannien gibt es nicht nur eine stärkere Tradition der Satire, sondern auch eine stärkere Tradition des Journalismus. Dokumentarfilme haben dort einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. Das Fernsehen unterstützt diese Tradition und führt sie fort. Außerdem wollte ich den Blick eines Fremden, eines Außenseiters, auf Amerika haben.
Die „britische“ Perspektive schärft den Blick für die Absurdität der Berichterstattung in den amerikanischen Fernsehnachrichten.
Ja, unsere Medienlandschaft ist wirklich furchterregend. Alles, was Sie im Film sehen, sind Situationen, die ich tatsächlich im Fernsehen miterlebt habe. Ich habe gehört, wie ein Nachrichtensprecher sagte: „Oliver North ist wirklich niedlich, nicht wahr?“ Unglaublich! In den Nachrichten geht es längst nicht mehr um hard news oder komplexe Wahrheiten, es gibt keine großen Journalisten mehr, die Nachrichten kommentieren. Es geht nur noch um Showbusiness, und deshalb erschien es mir sinnvoll, Filmstars als Nachrichtensprecher zu besetzen.
Ein weiterer, ebenso sinnfälliger Besetzungscoup ist Ihnen mit Gore Vidal als Roberts' Gegenspieler gelungen. Weshalb haben Sie sich für ihn entschieden? Weil er sich mit seinem Drehbuch zu „The Best Man“ („Der Kandidat“) schon vor Jahrzehnten als Kenner der politischen Szene in den USA auswies?
Nein, nicht allein deshalb. Ich kannte Gore bereits seit einigen Jahren, da er ein Freund von Susan Sarandon ist. Ich wußte, daß ich keinen Schauspieler für die Rolle des Brickley Paiste haben wollte. Ich wollte jemanden, der nicht dem Showbusiness angehört und deshalb einen etwas realistischeren Akzent in den Film einbringt. Ich hatte zeitweilig sogar an einen Ex- Politiker gedacht, aber dann hörte ich eines Morgens Gores Namen im Radio. Und ich wußte augenblicklich, daß er der Richtige war. Sein Großvater war Senator gewesen, er selbst hat einige Male kandidiert und seit Jahren über politische Themen geschrieben.
Seine Zusage und seine Begeisterung war für uns alle eine ungeheure Ermutigung. Seine Zustimmung gab mir das Gefühl, mit diesem Film etwas Wichtiges zu leisten.
Seine Rolle steckt voller hübsch beobachteter Details, wie etwa der Fliege, die man mit einer gewissen Politikergeneration verbindet.
Das war Gores Idee. Ich hatte schon erwartet, daß er zu den Dreharbeiten erscheinen würde und genauso aussähe wie ein echter Senator. Was ich nicht erwartet hatte, war seine wirklich anrührende schauspielerische Leistung. Ich brauchte ihm gar keine Regieanweisungen zu geben für seine Szenen. Ich stellte ihm einfach ein paar Fragen und ließ die Kamera laufen. Er selbst sieht sich übrigens als den „Griechischen Chor“ des Films. Und sein Wissen über Amerika, seine Bemerkungen zur politischen Szene gaben mir wertvolle Impulse.
Brickley Paiste ist zwar ein integrer Gegenspieler für Bob Roberts, aber man zweifelt nie daran, daß er letztlich verlieren wird. Ist das nicht ein Risiko: ein amerikanischer Film über Politik ohne einen Helden?
Sicher, das amerikanische Publikum liebt seine Helden. Deshalb funktionieren politische Filme bei uns so selten: Die Figur des strahlenden, siegreichen Helden ruiniert diese Filme. Nehmen Sie „JFK“ als Beispiel: Der Film wäre erheblich interessanter geworden, wenn die Hauptfigur etwas komplexer gewesen wäre.
Bob Roberts' Gegner in meinem Film sind Sieger in dem Sinne, daß sie gekämpft haben und daß sie immer wissen werden, daß sie gekämpft haben. Aber sie sind keine Kreuzritter, die den Schurken zu Fall gebracht haben, denn das entspricht nicht der Realität. In der Realität befreien uns nicht irgendwelche Helden von den gefährlichen Politikern, das müssen wir selbst, mit unserer Wählerstimme, tun. Deshalb wollte ich in „Bob Roberts“ auch keine Katharsis am Ende, keine Situation, in der der Zuschauer beruhigt das Kino verlassen kann, weil das Problem gelöst ist. Ich möchte, daß der Zuschauer wütend ist, wenn er das Kino verläßt. Denn das veranlaßt ihn vielleicht, aktiv zu werden.
Wie haben Sie für „Bob Roberts“ recherchiert?
Ich habe einige Wahlkämpfe und die Berichterstattung im Fernsehen und in den Zeitungen verfolgt. Dabei habe ich versucht, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen den großen konservativen Blättern und den kleineren linksliberalen Zeitungen. Ich glaube, dadurch habe ich mir ein recht objektives Bild verschaffen können. Und ich habe mir die Aufzeichnungen der Iran-Contra-Hearings angesehen. Die haben mich sehr wütend gemacht.
Noch eine Frage zur Besetzung und zur technischen Crew Ihres Films: Es scheint, als hätten Sie alle direkt vom set von „The Player“ engagiert.
Ich habe eigentlich nur den Kameramann und den Regieassistenten übernommen. Einige der Schauspieler hatten Auftritte in „The Player“ — etwa Peter Gallagher, Fred Ward und Susan Sarandon — aber hier waren ihre Rollen nicht viel mehr als cameos, die alle innerhalb eines Tages abgedreht waren. Der Tag hat uns natürlich allen sehr viel Spaß gemacht. Für mich war es sehr wichtig, einen Kameramann zu haben, dem ich vertrauen konnte. Jean Lepine ist ein wunderbarer Kameramann; niemand kann so gut mit der Handkamera umgehen wie er. Aber entscheidend war, daß wir enge Freunde sind. Und das ist bei einem Debütfilm wichtig, denn allzuoft hört man von Unstimmigkeiten zwischen dem Kameramann und einem Regieneuling. Da ist oft Rivalität im Spiel, und man muß aufpassen, daß der Kameramann nicht versucht, selbst Regie zu führen.
In den Altman-Filmen hat Lepine einen sehr fließenden Kamerastil perfektioniert. Weshalb empfahl sich der auch für „Bob Roberts“?
Die Form des Dokumentarfilms legte es nahe: Dort finden Sie selten die normale Schnittfolge von einem master shot, einer Totalen zu einer Nahaufnahme. Man bemüht sich, alles in einer Einstellung zu drehen. Das hatte natürlich auch damit zu tun, daß wir wenig Geld zur Verfügung hatten und eine einfache, aber interessante Auflösung für die Szenen suchen mußten. Und die Kamera reagiert sehr spontan auf das, was die Schauspieler machen. Bei den Dreharbeiten zu „The Player“ und auch zu „Bob Roberts“ habe ich mich oft an die Bühnenarbeit erinnert gefühlt, denn wir haben viel improvisiert, und ich habe dem Kameramann freigestellt, auf das zu reagieren, was die Schauspieler an Neuem einbrachten. Dahinter steckte auch die Idee Altmans, daß Fehler nicht immer schlecht sind. In „Short Cuts“, seinem neuen Film, spiele ich auch eine kleine Rolle. Und es gab da einen take, von dem ich sofort wußte, daß ich ihn verpatzt habe. Als ich das merkte, habe ich mitten in der Szene aufgehört, damit Altmann den take auf keinen Fall verwenden konnte. Denn ich wußte schon aus „The Player“: Wenn man bei Altman einen Fehler macht, läßt er ihn ganz bestimmt auch im Film drin!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen