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„Zur Abschreckung die Strafen erhöhen“

■ Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm (50), einst befristete Leihgabe der bayerischen Justiz an Sachsen, jetzt ganz im Dienst des neuen Freistaats, zum Umgang der Justiz mit rechtsextremen Straftätern

taz: In der letzten Woche hat der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse die Zustände in Deutschland mit Weimar verglichen und der Justiz vorgeworfen, wie damals auf dem rechten Auge blind zu sein. Teilen Sie diese Meinung?

Jörg Schwalm: Den Eindruck kann ich nicht bestätigen. Schon in der Vergangenheit sind rechtsorientierte Gruppierungen bundesweit zum Teil sehr gewaltsam aufgetreten. In allen Fällen ist von der Justiz, soweit Straftaten erkennbar waren, eingeschritten worden. Es ist also nicht so, daß man das linke Spektrum schärfer beobachtet hätte, als das rechte. Im Moment ist die rechte Szene aber das, was wir im Auge behalten müssen, da dürfen Vorfälle wie Rostock oder Wismar nicht mehr auftreten. Soweit ich das für Sachsen sagen kann, wird aber von der Justiz auch in diesem Bereich mit aller Energie vorgegangen.

Sachsen war lange Zeit das Zentrum der Rechtsradikalen, Dresden galt als „Hauptstadt der Bewegung“. Davon ist heute keine Rede mehr. Hat man es nur geschafft, aus den Schlagzeilen herauszukommen, oder ist hier wirklich etwas geschehen?

Nein, es ist wirklich etwas geschehen. Die Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex), ist von anfangs knapp 30 auf 50 Ermittler verstärkt worden. Insgesamt wird durch eine kontinuierliche Ermittlungsarbeit ein ganz beträchtlicher Druck auf die rechte Szene ausgeübt. Hier ist also substantiell etwas geschehen. Dazu gehört auch die große Durchsuchungsaktion vor zwei Wochen, an die sich jetzt in kürzester Zeit Ermittlungsverfahren anschließen müssen. Schnelle Arbeit seitens der Staatsanwaltschaft hat in der Vergangenheit sicherlich dazu beigetragen, generalpräventiv, also abschreckend, zu wirken. Bei den Fällen in Hoyerswerda ist es gelungen, die ersten zwölf Anklagen bereits nach drei Wochen vor Gericht zu bringen. Nach drei Monaten hatten wir schon die ersten Verurteilungen.

Nicht nur die Schnelligkeit der Ermittlungen ist entscheidend, sondern auch das Strafmaß. Und gerade hier setzt die Kritik an. In Hoyerswerda gab es nur Bewährungsstrafen, in Rostock gar Jugendarrest für Landfriedensbruch. Setzt man die Strafen zu niedrig an?

Das kann ich aus der Entfernung heraus nicht präzise beantworten. Der Strafrahmen für besonders schweren Landfriedensbruch ist ja doch erheblich und jedes Gericht muß eigenverantwortlich entscheiden, wie weit es diesen Strafrahmen ausschöpft. Dabei spielt eine erhebliche Rolle, ob Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Deshalb sind möglicherweise auch Strafen ausgesprochen worden, die nun Kritik finden.

Kritik kommt selbst von höchster Stelle. Generalbundesanwalt von Stahl hat härtere Strafen gefordert und daß man insbesondere Alter und Alkoholkonsum bei brutalen Übergriffen nicht mehr strafmildernd werten sollte. Wäre dies der richtige Ansatz?

So pauschal, wie dies der Generalbundesanwalt fordert, kann ein Richter das gar nicht übernehmen. Richtig ist, daß man sich Gedanken machen muß, ob nicht aus generalpräventiven Erwägungen heraus die Strafen angezogen werden müßten. Ich glaube, daß die Strafrahmen, die das Gesetz vorsieht, eine sehr nachhaltige Wirkung erzielen — wenn sie ausgeschöpft werden.

In Bundeskriminalamt, Verfassungsschutzbehörden und Justiz wird derzeit diskutiert, ob die Übergriffe einen organisierten Hintergrund haben...

... Für Sachsen kann ich sagen, daß wir bisher in keinem einzigen Fall auf irgendeine Organisationsstruktur gestoßen sind. Damit möchte ich nicht sagen, daß es nicht vielleicht doch zumindest Ansätze für Organisationen gibt. Im Moment haben wir aber keinen Anhaltspunkt dafür.

In den letzten Jahren hat es eine unendliche Fülle von Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung, Mitgliedschaft und Werbung für eine terroristische Vereinigung nach §129a gegen sogenannte Linksterroristen gegeben. Die Verfahren gegen Rechts kann man an einer Hand abzählen. Kommt hier Thierses Vorwurf zum Tragen?

Ich habe den Eindruck, daß im linken Bereich doch mit mehr Intellekt und von vornherein in Organisationsstrukturen gedacht worden ist. Die Ausschreitungen im rechten Bereich sind fast ausnahmslos aufgrund spontaner Verabredungen erfolgt, häufig nach Wirtshausbesuchen von Gruppierungen, die ideologisch überhaupt nicht richtig festgelegt waren. In der weitaus überwiegenden Zahl ist das ein emotionales Handeln unreflektierter Art.

Die militante „Nationale Offensive“ hat ihr Hauptquartier in Dresden, die „Sächsische Nationale Liste“ ist von dem Hamburger Neonazi Christian Worch in Dresden gegründet worden, die „Deutsche Alternative“ hat Stützpunkte in Sachsen ebenso wie die „Deutsch Nationale Partei“ von Thomas Dienel, der derzeit in Thüringen wegen §129a in Haft sitzt. Alle diese Gruppen arbeiten wiederum eng vernetzt zusammen. Kann man hier noch von lokalen, spontanen voneinander unabhängigen Aktivitäten reden?

Wir haben einfach keine Hinweise darauf, daß da irgendwelche Querverbindungen größerer Art bestehen. Wir müssen das sehr genau beobachten, aber im Moment ist einfach keine Beweislage vorhanden, die uns erlauben würde, so etwas zu bejahen.

Die Führer dieser Organisationen gehen bei Festnahmen von rechten Randalierern nicht ins Netz, weil sie sich immer dezent im Hintergrund halten. Wie kann man gegen solche Leute anders vorgehen als mit Organisationsdelikten?

Tja, anders kann man mit unserem Instrumentarium eigentlich nicht vorgehen. Dabei sind gerade die Organisationsdelikte noch die einzigen, in denen ich versuchen kann, Strukturen aufzuspüren, sonst bin ich ja nur aufgrund eines ganz konkreten Vorfalls überhaupt in der Lage, meine Ermittlungen anzukurbeln.

Aber gerade dies wird doch nicht gemacht oder deutet sich derzeit in Sachsen ein Ermittlungsverfahren gegen eine rechtsextreme oder rechtsterroristische Organisation an?

Soweit mir es bekannt ist, nicht.

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