piwik no script img

Bahn-Graffitis für die "Fame"

■ Jugendliche Graffiti-Sprayer kämpfen in Bremen gegen den Frust und für den Ruhm

Bahn-Graffitis für die „Fame“

Jugendliche Graffiti-Sprayer kämpfen in Bremen gegen den Frust und für den Ruhm

Samstag nacht, Bremen Walle. Zwölf Jugendliche huschen über die Bahngleise, rote Signale leuchten, der Hauptbahnhof ist wenige hundert Meter entfernt. In ihren Rucksäcken scheppern Dosen. Sie kennen den Weg, sie gehen ihn nicht das erste Mal. An den Wänden des Lagerhauses leuchten bereits zahlreiche „Pieces“ (Bilder) und „Tegs“ (Namen). Graffiti- Kunst von vorangegangenen Nächten, auch von anderen Gruppen. Nun kommt Neues dazu.

Die Bundesbahn und die Polizei sind hilflos. In Hamburg und Berlin wurde bereits eine eigenständige SOKO eingerichtet — sie beschäftigt sich ausschließlich mit jugendlichen Sprühern. So weit ist es in Bremen zwar noch nicht. Doch ein Blick auf die hier verkehrenden Züge, die Mauern an den Bahngleisen zeigt: Die Graffiti- Sprüher sind auch hier aktiv.

Für die Jugendlichen ist es mehr als Graffiti: es ist Ausdruck, künstlerisches Moment — sie kämpfen damit gegen Frust, Eintönigkeit und Alltag. Die Sprüher kämpfen um „Fame“ — um die Gunst der in den Zügen sitzenden Zuschauer. Vielleicht fährt gerade ein „Writer“ (so nennen sich die Sprüher) aus Bremerhaven oder Hamburg vorbei und liest die Namen, erkennt die Bilder. Die Szene ist national. Writer aus allen Städten pflegen Kontakte, treffen sich regelmäßig zu einer „Jam“, veranstalten „Battles“ (Wettkämpfe). Bei der letzten „Jam“ in Frankfurt kamen sogar Writer aus London und Paris.

In Bremen gibt es an die sechszig Writer; ihr Stellenwert steigt, obwohl die Größten immer noch in München und Berlin leben. Sie alle sind 15- bis 16jährige — der Schaden, den hauptsächlich die Bundesbahn trägt, ist in diesem Jahr sprunghaft gestiegen. Millionenhöhe. Züge sind bei den Writern besonders beliebt, sie tragen den Ruhm durch die ganze Republik. Wer dazu nicht den Mut hat, besprüht Wände nahe der Bahnlinien.

„Wir würden auch legal sprühen“, sagt einer der Jugendlichen, „aber uns werden viel zu wenig Wände zur Verfügung gestellt. Obwohl der Nervenkitzel das Ganze natürlich erst spannend macht.“ Dennoch: Sie würden auch legal sprühen. Sie verstehen sich als Künstler und sind sauer, daß der Normalbürger dies nicht anerkennt.

Die Jugendlichen gründen Gruppen, nehmen an Wettkämpfen teil, sprühen gegen andere Writer-Vereinigungen. Auf die Ideen und die Schnelligkeit kommt es an. Jeder versucht seine individuelle Mischung aus einer Vielzahl von Stilen zu kreieren. Das Repertoire reicht von wilden, konfusen Bildern bis hin zu ballon- und balkenartigen Exemplaren. Das nennt sich dann „Wild Style“, „Bubble Style“ und „Balkon-Stil“.

Die Gruppe ist den Jugendlichen wichtig, sie gibt Rückhalt, Schutz und Mut. Die „Asozialen Gröppelinger“ sind stolz, sie repräsentieren ihren eigenen Stil. Ihr größter Wunsch: einmal einen Zug besprühen, um richtige „Fame“ zu bekommen. Da ist es auch kein Zufall, daß ein Job bei der Bundesbahn als besonders erstrebenswert gilt. Manch einer von ihnen hat ihn schon. Nicol Ljubic

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen