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Fernsehgerechte Gespräche sind provinziell

■ Mit seiner Arbeit wurde „0137“ nicht „0815“: Ein Gespräch mit Roger Willemsen

Bis Roger Willemsen (36) vor zwei Jahren beim Hamburger Pay- TV-Kanal „Premiere“ eine (unverschlüsselt ausgestrahlte) tägliche Sendung zu moderieren begann, hatte er kein Fersehgerät. So einfach und ungewöhnlich wie der Name „0137“ — die Telefonnumer für die TED-Anwahl eines Überraschungsgastes — ist das Konzept der Sendung, Abend für Abend drei Gäste zu befragen. RAF-Häftlinge in Celle ebenso wie den Kosmonauten Sergej Krikalew in seiner Raumstation 40 Kilometer über der Erde.

taz: Herr Willemsen, wen haben Sie heute befragt?

Willemsen: Der erste war ein Schweizer Drogenexperte, der im Selbstexperiment Koks genommen hat und abhängig geworden war. Ein Grenzgänger zwischen Theorie und Praxis also. Als zweiter Joe Montana. Das ist eine amerikanische Football-Legende. Im vergangenen Jahr erkrankte Montana am Ellbogen und kann nun nicht mehr spielen. Wunschgast war der Häuptling der Lakota-Indianer, die keine Stromversorgung haben und sich in der Bundesrepublik nach Solarenergie erkundigen.

Sind Sie zufrieden mit den Interviews?

Das ist unterschiedlich. Die Stimmung steigt und fällt während der Sendung. Mit dem Schweizer war ich zufrieden. Beim zweiten hat mir der aktuelle Bezug gefehlt. Da geht dann die Authentizität ab. Mit Nummer drei war ich zufrieden, auch wenn er in einem fernsehunüblichen Duktus mit vielen Pausen gesprochen hat. Aber das ist das Schöne an der Sendung. Die Leute müssen nicht telegen sein und nicht fernsehgerecht.

Sie haben oft fremdsprachige Gäste. Stört die Übersetzung nicht das Gespräch?

Eine unmittelbare Korrespondenz ist da nicht zu führen. Aber fernsehgerechte Gespräche sind provinziell, weil Sie sich dann mit Deutschen zufrieden geben müssen. Die Internationalität ist uns ganz wichtig. Wir haben ja keine Gäste, die ein Buch oder eine Platte verkaufen wollen, wir machen keine Promotion. Bei uns stehen die Menschen im Vordergrund oder ihre Geschichten. Und Holm Dressler hat gesagt, daß er für Gottschalk bei uns Anregungen hole. Auch Biolek hat schon von uns übernommen.

Unter 5.000 Dollar Honorar verliest Henry Kissinger nicht mal den Wetterbericht. Wieviel zahlen Sie?

Gar nichts. Wir zahlen grundsätzlich nur eine Aufwandsentschädigung, die je nach dem Wert des Gastes auch mal über der Spesenrechnung liegen darf.

Wird es mit der Zeit nicht schwierig, interessante Gäste zu finden? Helmut Thoma war ja immerhin schon zweimal da.

Zusammen mit Glotz und Genscher war das eine der wenigen Ausnahmen. Auch da hilft Internationalität.

Ist der Respekt vor großen Namen ein Problem?

Natürlich gibt es Respekt- und Sympathie-Figuren. Aber selbst Leute wie Arafat schrumpfen auf Normalmaß zusammen, wenn der Kenntnisstand des Interviewers gut genug ist.

Wie eignen Sie sich diese Kenntnis an?

Die Redakteure schlagen vormittags Themen vor, stellen die Gäste auf und besorgen mit Hilfe des Gruner+Jahr-Archivs Dossiers. So um 12 bis 13 Uhr komme ich mit relativ guter Nachrichtenkenntnis ins Studio und erarbeite zusammen mit den Redakteuren die Fragen. Manchmal muß nochmal nachrecherchiert werden, aber im Grunde hat sich diese Systematik bewährt. Ich mache die Sendung ja nun zwei Jahre, im ersten Jahr war ich ganz alleine. Jetzt nimmt mir Sandra Maischberger eine Woche im Monat ab.

Sie haben heute etwa Ihr 850. Interview gemacht. Hat man da noch Interesse für Menschen?

Ich gehe immer noch mit gewisser Spannung in die Sendung.

Führen Sie die Interviews, um die Menschen, oder um sich selber besser zu verstehen?

Das hat eine dialektische Verbindung. Das hängt zusammen. Wenn ich mich in Figuren finden kann, dann werde ich in Gespräche so weit hineingezogen, daß ich das Medium nicht mehr beherrschen muß, daß ich die Kamera nicht reflektiere.

Die Kamera stört also nicht?

Nein, im Gegenteil. Sie bringt eine Intensivierung mit sich. Ich habe für jedes Gespräch zwölf Minuten. Das führt im Idealfall dazu, daß der lässige Talk wegfällt. Anders als bei Gottschalk.

Am Ende Ihres Gespräches mit Lech Walesa greifen Sie sich ans Hosenbein und wischen die Hand ab. Schwitzen Sie viel?

Im Studio nicht. Aber der Präsidentenpalast war vollkommen überheizt und dann noch die Scheinwerfer...

Walesa hat sich sehr gewunden und nicht jede Frage beantwortet. Glauben Sie ihren Gästen grundsätzlich, oder ist die Lüge im Interview akzeptiert?

Innerlich war ich ruhig, obwohl ich merkte, daß er gelogen hat. Das für mich Verzweiflungsvolle lag darin, daß ich es besser weiß. Bohre ich aber weiter und weiter, dann wirke ich wie ein Besserwisser und hacke auf einem Detail herum. Dazu war das Interview zu wichtig.

Offenbart sich der Charakter einer Person nicht in Details?

Schon. Aber ich hatte zwölf Fragen. Die mußte ich so katalogartig stellen. Dann war das auch so eine unangenehme Atmosphäre im Präsidentenpalast. Walesa hat eine martialische Art, festzulegen, wie lange das Interview dauern darf.

Wundert es Sie nicht, daß Sie nun ausgerechnet für diese Spezialsendung vom 27.3. 1992 den Bayerischen Fernsehpreis bekommen? Wissen Sie denn, wer Sie vorgeschlagen hat?

Nein.

Herr Wolf-Dieter Ring. Das ist der Präsident der bayerischen Landesmedienzentrale. „Roger Willemsen gefällt durch seine souveräne, sensible und kritische Interviewführung“, hat er in der Begründung geschrieben. Überrascht Sie das?

Etwas schon. Das Interview ist gar nicht so gut, weil der rasche Abtausch gar nicht möglich war. Walesa hat immer drei Minuten geantwortet. Ich bin ja hingefahren, um ihn in eine Gesprächssituation zu ziehen. Das war meine Aufgabe. Das ist mir nicht geglückt.

Ein Preis für ein mißglücktes Interview.

Nein, das würde ich nicht so sagen. Die Frage ist, ob ein Interview mit Walesa glücken kann.

Also schlicht unbefriedigend?

Ja. Und ich habe kein einziges Befriedigendes gesehen.

Welche Interviews fänden Sie denn preiswürdig? Jene, die für Aufsehen sorgten? Keith Coleman kurz vor seiner Hinrichtung, die RAF-Häftlinge in Celle oder den japanischen Kannibalen?

Mit Coleman haben wir in Deutschland begonnen, und zuletzt haben dann auch die „Tagesthemen“ berichtet. Bei Coleman war die innere Begleitung für die gesamte Redaktion eine emotionale Strapaze. Hier zeigte sich, was bestenfalls der Geist der Sendung sein kann. Am Tag der Krawalle in Los Angeles haben die anderen nur vage berichtet. Wir hatten einen Streetworker, der die Gangs kannte. Dazu als einziger europäischer Sender Jesse Jackson, der gerade zufällig im CNN-Studio saß. Das war eine der besten Sendungen.

Zeichnen Sie die Gespräche auch auf und bearbeiten sie dann?

Die Aufnahmen zeichnen wir auf. Nachbereitet wird nichts.

Die RAF-Häftlinge sagten, sie hätten bei Attentaten nicht den Familienvater, sondern den Funktionär ermordet. Schleyer sei ihnen nach wie vor gleichgültig. Sie wurden kritisiert, weil Sie nichts entgegneten.

Das sehe ich nicht so. Wäre ich hingegangen und hätte gesagt, Schleyer war nicht so böse, dann wäre das Interview beendet gewesen. Ich wollte mich da nicht exponieren. Eine Woche vor der Sendung habe ich in Celle drei Stunden lang mit den Häftlingen gesprochen. Ich wünschte, ich hätte dieses Gespräch senden können. Die Situation mit der Kamera war so ungewöhnlich für die Häftlinge...

Haben Sie Personen auch gegen Ihren Willen interviewt? Nur weil es die Redaktion so wollte?

Im bunten Bereich, ja. Models und Missen erschöpfen sich in ihrer Schönheit doch sehr bald. Oder halbseidener Sex. Etwa eine Journalistin aus der Schweiz, die behauptet, Frauen wollten große Schwänze. Da habe ich Angst, daß ich mich im Sog der Anti-Aufklärung befinde.

Ich nehme nun an, daß es Ihnen angenehmer ist, einen Kannibalen zu befragen als von Maria Schell geküßt zu werden?

Ja. Ja. Das stimmt sicherlich.

Was ist Ihnen wichtig? Wo sind die Grenzen? Ist es nicht charakterlos, einen Menschen zu befragen, der eine Frau tötete und sie gegessen hat?

Nein. Wichtig ist genaues Fragen. Der Raum des Ungefähren und der Vorstellung muß zerstört werden, damit das Thema von der Schmuddelebene wegkommt. Es geht nicht um den Gegenstand, sondern um die Methode. Wie geht man mit jemandem um, statt mit wem geht man um.

Sie arbeiten für „Premiere“, der unter anderem Leo Kirch gehört. Stört Sie dessen politische Nähe zur Regierung, dessen Hang zur Macht und zum Aufkauf von Sendern denn nicht?

Es bleibt für mich fatal, in einer Landschaft von Konzernen zu arbeiten, aber im Fersehbereich gibt es fast nur Konzerne. Vergleiche sind da müßig, aber Kirch gehört sicherlich zu jenen, die mir am allerwenigsten liegen. Aber das ist eine Bedingung dieser Arbeit. Ein Angebot von Sat.1 habe ich abgelehnt, auch aus Gründen der Konzernbindung und weil ich nicht in diesem Umfeld arbeiten wollte. Das ist Geschmackssache.

Und die Öffentlich-rechtlichen: Bieten die Ihnen noch immer nichts außer Game-Shows?

Doch, beim WDR ist einiges drin. Ich bin mir sicher, daß ich zum WDR wechseln werde, die Verhandlungen sind vertragsreif. Ab April werde ich im dritten Programm dann eine Person eine halbe Stunde lang befragen. Mit einem halben Bein werde ich jedoch bei „Premiere“ bleiben.

Damit wären wir ja nun bei den schönen Dingen des Lebens: der taz. Was gefällt Ihnen daran so sehr, daß Sie die 25.000 Mark Preisgeld spendieren?

Die taz kann auf ihren guten Seiten das besser, was Journalisten anderswo nicht können. Sie sollte allerdings nicht versuchen, andere zu kopieren. Da ist sie viel schlechter. Die taz ist wichtig wegen ihrer Themenauswahl, der Hintergrund-Recherchen, ihres ideologischen Korrektivs, sooft man sich auch daran reiben mag, oder sie bieder und konservativ finden mag. Sie ist eines meiner Lieblingsblätter. Die 25.000 Mark werde ich in der Form von etwa 500 Gefangenen-Jahresabos spenden, damit sie ihr Produkt auch absetzen kann. Das Ironische daran ist, daß die Bayerische Regierung zum Erhalt der taz beitragen darf. Interview: Thomas Schuler

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