piwik no script img

Die Stunde des deutschen Würstchens

■ Vom Friseur, der den vaterländischen Saitling besingt: Über Nationales im Darm

Geh, Hunderl, such's deutsche Wurstl!Foto: Maillet

Beim Friseur spielt das Radio. Ein wuchtiger Foxtrot entlädt sich über einem Stapel ausgelesener Zeitungen. Um meine Ohren (Kopf geduldig schräg nach vorn gebeugt) schnippt die Schere. Der Friseur summt mit. Summende Friseure verbreiten eine angenehme Atmosphäre. Die Tanzmusik verklingt, und ein fröhlicher Chor wirbt für deutsche Würstschen. Es müssen außerordentlich deutsche Würstchen sein, denn sie heißen

hierhin bitte

die Würste

auch so.

„Ja, das sind Deutschländer Würstchen“, jubiliert der Chor zu einer Marschmusik: Der Sieg des einheimischen Fettes und Bindegewebes im vaterländischen Saitling über das exterritoriale Brät. Der Friseur singt mit. Ganz leise und gedankenverloren. Aber er singt mit. Ich höre nur die Konsonanten dicht an meinem rechten Ohr zischeln.. Wenn deutsche Friseure ein Lied von deutschen Würstchen singen, heißt es Obacht geben.

Aus den Augenwinkeln sehe ich sein Gesicht: Ein lächelnder Schnitter. Heut wetzt er das Messer, es schneid't schon viel besser. Bald wird er drein schneiden, du muß es erleiden, Würstchen aus dem fremden Land: Jetzt steht der drohende Engel mit dem bloßen, hauenden Schwert vor dem Paradies der hungrig aufgerissenen deutschen Münder und verwehrt dir den Weg in den Verdauungstrakt des Herrenmenschen.

Als wie in alter Zeit soll das bodenständig Schweinerne den patriotischen Leib zu Schutz und Trutze brüderlich zusammenhalten. Ausländische Ringelschwänze — raus aus der deutschen Wurst!

Die Zeit war reif für den Nationalknacker. Krakauer, Debrecziner, Wiener, Mailänder und Lyoner haben sich lange genug unter dem Vorwand der Schmackhaftigkeit den Weg in deutsche Bäuche erschlichen. Der Verbraucher schließt nunmehr den Solidarpakt mit dem heimischen Produkt, und alle Friseure singen mit. Gebt ihnen zwölf Jahre Zeit, und ihr werdet die deutschen Glatzen nicht wiedererkennen.

Große Ereignisse werfen allerlei voraus. Auch ihre Würstchen: Wenn die deutschen

Brüh im Glanze dieses Glückes

Brandbeschleuniger in die Wohnungen von Ausländern fliegen, muß die Schlachterzunft umgehend die arische Wurst ausrufen, denn sie will in der Welt behalten ihren alten, schönen Klang: „Brüh im Glanze dieses Glückes...“

Die Hand des Friseurs mit den Fingern in den Scherenlöchern schnippt dicht vor meinen Augen. Heute abend, so denke ich, werden diese Finger frohgemut ein deutsches Würstchen in deutschen Senf tunken; morgen vielleicht schon werden sie die Krakauer in den offenen Kamin schleudern: „Verschlinge, o Flamme...“ Der Friseur läßt sich aber nichts anmerken, denn im Radio wird Bewegendes von Ferne und Einsamkeit gesungen, und der Friseur summt mit, weil es ihm zu Herzen geht. Lutz Wetzel

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen