■ Polnische Skins führten mit Punks „Romeo und Julia“ auf: Nicht prügeln — elegant touchieren!
Nowa Huta/Berlin (taz) — Bei Shakespeare ging es um Tod und Liebe zwischen den beiden verfeindeten Häusern Montague und Capulet. Das ist alles schon ziemlich lange her, und Verona lag weit weg von London. Damals war Liebe noch ein echtes und großes Gefühl. Heute trägt Romeo Springerstiefel und Lederjacke. Im Ohr klemmt eine Sicherheitsnadel, der rote Hahnenkamm auf seitlich ausrasiertem Schädel wackelt mächtig hin und her, wenn er sich seiner Julia entgegenreckt. Mit beladonnaverwässertem Theaterblick schmachtet das Fräulein aus gutem Haus ihren Lover vom Balkon herunter an. Statt säuselnder Streichern begleitet Musik von The Clash die Wirren um Liebe und Leidenschaft der verfeindeten Häuser Montague und Capulet. Eine Endlos-Story. Das Thema ist nett, und warum sollte ein Eins- a-Punk nicht knallhart nach altem Muster lieben und leiden und das auf der Bühne auch zeigen?
Nowa Huta, Vorort von Krakau. Gebaut, weil 50.000 lange Arbeiterarme es wollten. Eine Stadt windet sich um ein Stahlwerk, das nichts mehr einbringt. Mitten in der City liegt das „Teatr Ludowy“, einst sozialistisches Renommiertheater. Seit dem Ende der Ideologie lieferten sich Skins und Punks blutige Kämpfe. Noch bis vor wenigen Monaten. Bis Jerzy Federowicz sie via TV-Ansprache zu sich ins Theater lud. Es kamen hunderte, dreißig durften bleiben. Ein halbes Jahr probte der postsozialistische Theater-Starregisseur mit ihnen den Klassiker in neuen Bildern. Während der Proben gingen auch schon mal Brokatbezüge drauf, wurden Deckenfluter mal eben abmontiert. Federowicz blieb gelassen, setzte die Proben fort. Er diskutierte nicht über rechte und linke Gewalt, verbot lediglich das Rauchen und Trinken im Theater während der Proben. Stoisch impfte er den Laiendarstellern ein, daß Härte mit Gefühl gespielt werden muß — zumindest auf der Bühne. Sechs Wochen brauchte Romeo, um den Balkon-Liebesschwur nicht aus rauher Kehle vorzuwürgen. Ein Fechtmeister übte wieder und wieder das Kämpfen. Bei der Berliner Aufführung am vergangenen Dienstag abend prügelten die Skins aus dem Hause Capulet nicht blind auf die Montague-Punks ein, sie touchierten einander elegant mit neuen Baseballschlägern. Die dürfen sie behalten, quasi als Lohn für die Bühnenmühe, ebenso wie ihr Bühnendreß, wahlweise Bomberjacke und Springerstiefel oder Ledermontur und kreischbunte Haarlacke — auswaschbar natürlich.
Was da am Dienstag im Kesselhaus der Kulturbrauerei an Intensität und (Laien-)Schauspielerei geboten wurde, davon dürfen sich staatlich subventionierte „Off- Theater“ gern was abschauen. Das Publikum: gemischt, vom sozialarbeiterisch radebrechenden Jugendsenator bis zum Redskin, selbst aus Leipzig kam eine autonome Freundschaftsdelegation angereist. Nach dem Applaus von allen Stühlen vorsichtige Fragen an die Schauspieler, ob sie die Skins kennen, die vergangene Woche in Nowa Huta einen Lkw-Fahrer aus Eisenhüttenstadt totgeschlagen haben. Nein, kennen sie nicht, es sollen „Pseudoskins“ gewesen sein, denn: „Ein echter polnischer Skin schlägt niemanden tot, weil das gegen die Bibel verstößt.“ Du sollst nicht töten, der polnische Skin ist katholisch, wie sein Feind, der Punk. Kann sich der Leipziger Autonome vorstellen, sich einem Skin laienspielmäßig zu nähern? „Wir würden uns selbst auf der Bühne die Köppe einschlagen, da wär nix mit Liebe.“ Was ist der Unterschied zwischen deutschen und polnischen Jugendlichen? „Skins und Punks aus Polen eint ihr gemeinsamer Nationalismus.“ Die Schmiere fehlt der deutschen Szene. Annette Rogalla
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