: Tohuwabohu bei den Torys
■ Auf dem Parteitag in Brighton flogen die Fetzen/ Keine Rezepte für die Krise
London (taz) — Der Tory-Parteitag im südenglischen Seebad Brighton ist eine Konferenz der Verlierer. Noch nie war eine Partei ein halbes Jahr nach einem Wahlsieg so zerstritten wie die britischen Konservativen. Der gestern zu Ende gegangene Parteitag zeigte, daß die Regierung bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise nicht weiter weiß. Die mit Spannung erwartete Rede von Finanzminister Norman Lamont, die das Vertrauen in die Regierung wiederherstellen sollte, enthielt nichts als Gemeinplätze.
Zentraler — und einziger — Punkt seiner Strategie ist die langfristige Senkung der Inflationsrate auf zwei Prozent, die durch ein Bündel von Sparmaßnahmen erreicht werden soll. Er machte nur vage Andeutungen zur Zinsrate und zum Europäischen Wechselkurssystem, dessen bloße Erwähnung ein Aufheulen des rechten Parteiflügels auslöste. Er sagte kein Wort zum Pfundkurs und zur Arbeitslosigkeit — und Arbeitsministerin Gillian Shephard fiel auch nichts anderes ein, als die Abschaffung des 1. Mai als Feiertag anzukündigen. Statt dessen soll Lord Nelson am „Trafalgar-Tag“, dem 21. Oktober, gefeiert werden.
Die Börse, an die Lamonts Rede indirekt gerichtet war, reagierte flau. Thatcher-Berater und Wirtschaftsprofessor Alan Walters sprach von „purem Schwindel“. Er prophezeite, daß Großbritannien innerhalb von neun Monaten wieder in das Wechselkurssystem gesogen werde, falls es weiter versuche, „auf den Maastricht-Bus aufzuspringen“.
Thatchers Auftritt am Donnerstag ging dagegen glimpflich für ihren Nachfolger John Major ab. Der Applaus der Delegierten hielt sich in Grenzen. Schuld daran war ein Interview, das am selben Tag im European abgedruckt war. Darin feuerte sie erneut eine schwere Breitseite gegen die Europäische Union und Majors Politik ab, die selbst viele ihrer Anhänger als parteischädigend empfanden. Zur Erleichterung des Kabinetts ergriff Thatcher das Wort nicht. Statt dessen griff sie sich Major und drückte ihm einen Kuß auf die Wange — „den Todeskuß“, wie ein Delegierter bemerkte.
Ihr Vertrauter, der rechte Tory Norman Tebbit hielt sich allerdings nicht zurück. Auf der vom Bestseller-Autor Jeffrey Archer organisierten Party im Grand Hotel provozierte er einen Streit mit Innenminister Kenneth Clarke, der in Handgreiflichkeiten auszuarten drohte. Dabei ging es natürlich um Europa. Tebbit hatte auf dem Parteitag behauptet, daß Clarke die Maastrichter Verträge gar nicht gelesen habe. Fraktionschef Richard Ryder mußte schließlich eingreifen, um die Streithähne zu trennen. Ralf Sotscheck
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