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Kein Bleiberecht für Lageropfer

■ Kroatien: Ehemalige bosnische Gefangene fürchten, wieder an serbische Verbände ausgeliefert zu werden

Zagreb (taz) —Für die kroatischen Medien sind sie Hauptthema: 1.500 Männer aus dem bosnischen Internierungslager Prijedor wissen Horrorgeschichten zu erzählen, die keine kroatische Zeitung ihren Lesern vorenthalten will. Seit Tagen füllen so Augenzeugenberichte und Schilderungen über Hinrichtungen und Folterungen in Nordbosnien die Zeitungsspalten. Mit einem Schönheitsfehler: Die Opfer berichten alle anonym. Sie haben Angst vor Vergeltung, vor der Rückkehr nach Prijedor. Denn obwohl manche von ihnen als angebliche „Kriegsverbrecher“ nur knapp einer Hinrichtung durch serbische Lagerschergen entkommen sind und selbst schwere Folterungen aufweisen, sind sie im kroatischen Karlovac nicht sicher. Das offizielle Zagreb will nächste Woche ernst machen und alle 1.500 den Serben wieder ausliefern.

Der Hintergrund: Am vorletzten Donnerstag gelang es dem Internationalen Roten Kreuz, diese unterernährten und kranken Männer frei zu bekommen. Sie durften in einem Konvoi Bosnien Richtung Karlovac verlassen. In dieser kroatischen Grenzstadt waren die Behörden aber nur bereit, die Bosnier für zwei Wochen aufzunehmen. Denn Kroatien hat bekanntlich bereits seine Grenzen für Kriegsflüchtlinge aus Bosnien dicht gemacht und will sie unter allen Umständen geschlossen halten. 700.000 Flüchtlinge im eigenen Land sind genug, sagt man in Zagreb.

Und so harren diese entlassenen Lagerinsassen in einer ehemaligen jugoslawischen Kaserne im Grenzort Karlovac aus, mit notdürftigen Essensrationen und schlechter medizinischer Betreuung. Glaubt man dem einzigen Psychotherapeuten, der in der heruntergekommenen Kaserne die Männer betreut, so leiden die meisten unter Alpträumen und Verfolgungspsychosen.

Nach übereinstimmenden Schilderungen sind in Prijedor allein am 25.Juli an die 160 Gefangene auf einmal erschossen worden, nachdem sie sich in einer Reihe hinstellen und patriotische serbische Lieder singen mußten. Andere Männer wurden vor den Augen anderer Mitgefangener mit brutalen Messerstichen „kastriert“, serbische Aufseher schnitten ihnen einfach die Hoden ab. Dutzende sollen vor den Augen anderer Gefangener qualvoll diesen Verletzungen erlegen sein. Bezeichnend ist aber auch die Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und seelische Verfassung, in der sich die Männer acht Tage nach ihrer Freilassung befinden.

So der Prijedor-Gefangene Hamid vor kroatischen Reportern: „Warum fragt ihr uns nur aus? Was wollt ihr noch alles wissen, bis ihr uns endlich freilaßt? Soll denn dieses Leben in der Kaserne Freiheit sein? Warum wollt ihr uns wieder in die Todeslager zurückschicken?“ Fragen, auf die Zagreb bisher nur diese Antwort weiß: Findet sich nächste Woche kein europäisches Land, das den 1.500 Prijedor- Gefangenen Bleiberecht gewährt, werde man die bosnischen Männer an die serbischen Verbände Bosniens wieder ausliefern.

Serbenführer Karadzic hat dazu bereits erklärt, er werde diese angeblichen „Kriegsverbrecher“ in diesem Falle wieder in ein Lager stecken lassen, man habe nur guten Willen gegenüber dem Internationalen Roten Kreuz zeigen wollen. Es scheint, Europa hat dies nicht verstanden. Der frühere polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki, jetzt Sonderbeauftragter der UNO-Menschenrechtskommission, sprach gestern von einer „großen Schande“ für Europa, wenn die freigelassenen Gefangenen aus Bosnien-Herzegowina keine Möglichkeit zur Einreise erhalten würden. Doch bisher gibt es keine Anzeichen, daß man sich in europäischen Hauptstädten über das Drama von Karlovac wirklich Gedanken macht. Nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes werden in Bosnien-Herzegowina in rund 20 Lagern noch etwa 10.000 Gefangene festgehalten, davon die meisten von den Serben. Roland Hofwiler

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