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"Willy wird uns fehlen"

■ Weltweite Trauer um Willy Brandt. Freunde, Wegggefährten und politische Gegner würdigen ihn als Wegbereiter der Entspannung und großen Demokraten

„Willy wird uns fehlen“

Der Tod des ehemaligen Bundeskanzlers und SPD-Parteichefs Willy Brandt hat weltweite Trauer ausgelöst. In Deutschland wurde Brandt von politischen Gegnern, Weggefährten und Freunden als einer der größten Staatsmänner dieses Jahrhunderts gewürdigt. SPD-Chef Björn Engholm ehrte Brandt als den bedeutendsten SPD-Vorsitzenden seit August Bebel. Die SPD danke einem Mann, der vielen Menschen in Europa und darüber hinaus Orientierung und Hoffnung gegeben habe.

Brandts direkter Nachfolger als Parteichef, Hans-Jochen Vogel, erklärte, „mit Brandt sei einer der großen Deutschen dieses Jahrhunderts dahingegangen.“ Auf Brandts Wirken sei zurückzuführen, „daß die Worte Frieden und Deutschland in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts immer wieder in einem Atemzug genannt worden sind. Der Kniefall vor dem Warschauer Ghetto hat dem symbolisch Ausdruck gegeben“. Vogel erinnerte an Brandts Widerstand gegen den Nationalsozialismus, „der überlebte, weil ihm zuerst Norwegen und dann Schweden Asyl gewährten.“

SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose erinnerte daran, daß der Warschauer Kniefall eine „spontane Geste“ gewesen sei. „Brandt sagte später, es mußte ja etwas geschehen. Diese Geste hat mehr zur Versöhnung zwischen Polen und Deutschland beigetragen als viele feierliche Reden.“

Bundespräsident Richard von Weizsäcker nannte Brandt einen großgesinnten Menschen. „Er erlitt und ertrug Unrecht, er widerstand ihm mit Mut. Doch er sann nicht auf Vergeltung. Vielmehr rang er mit seiner Humanität, seiner visionären Kraft und seinem sicheren Instinkt um den Frieden in Deutschland, um Verständigung mit den ehemaligen Gegnern und um die Wiederherstellung des deutschen Namens.“

Bundeskanzler Helmut Kohl nannte Brandt „eine herausragende, prägende Persönlichkeit“, die „wie nur wenige zum Ansehen unseres Vaterlandes in der Welt“ beigetragen habe. Er selbst verdanke Brandt vor allem in den letzten Jahren „klugen Rat“. Bei der Herstellung der deutschen Einheit habe er auf die Unterstützung Brandts zählen können, betonte Kohl.

Michael Gorbatschow erklärte, „Deutschland, Europa und die Welt haben einen großen Politiker und Staatsmann der Gegenwart verloren.“ Er sei stolz auf die aufrichtige Freundschaft, die ihn mit diesem Menschen verbunden habe, den man zu Recht einen großen Demokraten genannt habe.

Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand ehrte Brandt als „einen Mann der Gerechtigkeit und des Friedens“ und große Persönlichkeit Deutschlands, Europas und des Sozialismus.

Die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland sagte, „einer der wirklich großen Politiker der Nachkriegszeit ist gegangen. Für uns Norweger steht seine Person in einem ganz besonderen Licht. Er kam zu uns als Flüchtling vor dem Nationalsozialismus und schaffte sich Freunde in unserer Partei und bei den Gewerkschaften. Wir, seine Freunde, danken, daß er uns so viel gegeben hat.“

Der amtierende französische Premierminister Beregovoy würdigte den Verstorbenen, der die „Aussöhnung zwischen den von der Geschichte und den Dogmen der Vergangenheit auseinandergerissenen beiden Teilen Europas ermöglicht“ habe.

Der britische Premierminister John Major ehrte Brandt als „einen mutigen Mann und Verfechter der Freiheit“, der sich als Bürgermeister von Berlin allen Einschüchterungsversuchen der Sowjets widersetzt habe. Im Deutschen Bundestag, würdigte Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth den Friedensnobelpreisträger als einen Anwalt des Friedens und der Verständigung.

Hans Dietrich Genscher nannte Brandt einen Politiker, der vor allem durch seine Wärme und Menschlichkeit überzeugt habe. Seine geschichtliche Leistung bestehe darin, daß Deutschland „durch ihn in der Welt das Vertrauen gewann, das nötig war, um sich gegenüber dem Osten zu öffnen, ohne die westlichen Partner zu verprellen“. Der KSZE-Prozeß und damit die deutsche Wiedervereinigung wäre ohne die Vertragspolitik Brandts nicht möglich gewesen.

Willy Brandt starb kurz nach 20 Uhr in seinem Haus in Unkel bei Bonn. Er war seit längerem krebskrank. Seit Mai dieses Jahres wußte er, daß weitere Operationen sinnlos gewesen wären. Brandt soll den Wunsch geäußert haben, in Berlin beerdigt zu werden. Bundespräsident Richard von Weizsäcker ordnete für die Begräbnisfeierlichkeiten einen Staatsakt an. In Bonn wurde halbmast geflaggt.

Brandt wurde 1913 in Lübeck als Herbert Ernst Karl Frahm geboren. Er trat mit 16 Jahren in die SPD ein, machte 1932 sein Abitur und mußte kurz darauf, im Jahre 1933, nach Oslo emigrieren. Während des Krieges war er unter einer Tarnung als Journalist im Untergrund tätig. Auch seinen Einstieg in Deuschland nach dem Krieg machte er als Berichterstatter für skandinavische Zeitungen. 1957 wird er zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt, 1961 tritt er erstmals als Kanzlerkandidat der SPD an. Die Kandidatur wurde 1964 mit dem Vorsitz in der Partei vervollständigt und 1966 wurde Brandt Vizekanzler in der Großen Koalition. Selbst erster Mann war er von 1969 bis 1974, zwei Jahre nach seinem erzwungenen Rücktritt wurde er dann Vorsitzender der Sozialistischen Internationalen.

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