: Nachschlag
■ Tanztheater Rubato mit „Gesänge der Nacht“
Zwei Frauen und zwei Männer in fließenden, weißen (Schlaf)- Gewändern rollen über den Bühnenboden: miteinander, gegeneinander, aneinandergeschmiegt, auseinanderstiebend. Sie murmeln Unverständliches in bedrohlich-bedrohten Tönen und bewegen sich mit verzerrten Gesichtern in slow motion auf das Publikum zu. Was Freud und seine NachfolgerInnen auch alles über die nächtlichen Träume ans Licht zu bringen vermögen: sie sprechen aus der Warte der Wachenden. Der Schläfer selbst begibt sich immer wieder neu in „unerforschtes Land“. Ein Land, wohin das Tanztheater Rubato mit seiner neuen Produktion „Gesänge der Nacht“ aufgebrochen ist.
Die wahren Meister dieses Abends sind die Musiker Wolfgang Bley und Sebastian Hilen. In schwaches, bläuliches Licht getaucht sind große Gongs und ihre Schemen durch ein Passepartout in der rückwärtigen Bühnenwand sichtbar. Weit über die Tänzer aus der „realen“ Bühne erhöht, tönt es aus dieser Hinterwelt — Rumoren aus der unbekannten Seele, von den Tänzern in faßbare Bilder umgesetzt. Mit Gongs und Schlaginstrumenten, Klangstäben und Trompete erzeugen sie leise, verzagte, fast sphärische Klänge. Nur für den lauten Alptraum finden sie nicht den richtigen Ton. Dieter Baumann, Lole Gessler, Jutta Hell und Susanne Kukies nehmen sich viel Zeit zum Herstellen der Traumzeit, und diese wird den Zuschauern manchmal etwas lang. Den Bildern fehlt es an Dichte und den TänzerInnen an Spannung untereienander: sie nahmen den Schlaf zu ernst. Wie eine sakrale Übung scheint das „Pas de Deux“ von Jutta Hell und Dieter Baumann. Bedeutungsschwanger schlingt sie sich in immer neuen Positionen um den Männerkörper. Wenn sie auf seinem durch eine Brücke nach außen gewölbten Bauch sitzt und ihn mit den Beinen umklammert, geraten die zu überfrachteten Bewegungen schließlich zu Turnübungen.
Erst gegen Ende werden die Tänzer in ihrer Schlafwelt ganz wach. Leichtigkeit statt Tiefe läßt ätherische Atmosphäre entstehen. Wie ein neurotischer Zwergpudel krabbelt Jutta Hell in zuckenden Bewegungen über die Bühne. Susanne Kukies, große Dame im Abendkleid, sinkt, von hysterischen Lachanfällen erfaßt, in sich zusammen. „Der Schlag soll dich treffen“ — Haß- und Rachegelüste treibt die beiden auf konträre Weise um. Zärtlich begegnen sich Dieter Baumann und Lole Gessler in der Bühnenmitte, und in tiefer Umarmung versunken, schwingen sie in immer größer werdenden Kreisen um- und miteinander. Im Schlußbild ist der Zorn der Frauen verraucht, alle vier drehen sich selbstvergessen-beschwingt um die eigene Achse und schaffen so einen wunderschönen Abschluß für eine nicht immer leichte Traumreise. Michaela Schlagenwerth
Täglich bis zum 18.10., 20.30 Uhr, Hallesches Ufer 32
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