: „Sie werden meine Maria zerstören“
■ Eine Führung durch die Bühnenbildmagazine und den Malersaal im Theater am Goetheplatz / Mit Fereydoun Parsanejad in der Unterwelt
Er ist ja gar nicht der geheime Herrscher des Theaters am Goetheplatz, Fereydoun Parsanejad, seit 24 Jahren am Bremer Theater, seit 1991 der Leiter des hohen, lichten Malersaales. Aber er sieht aus wie ein Herrscher: groß, stark, würdig, sehr ruhig. Und er spielt an diesem Tag unseren Führer durch die Unter- und Hinterwelt des Tag-Theaters. Eine Führung hinter die Kulissen, wo „Nathan der Weise“ geprobt wird, und konzentrierte SchauspielerInnen einen zürnenden Blick auf uns Eindringlinge werfen, die wir vorsichtig auf Zehenspitzen schleichen, an weißen Kostümlarven vorbei. Eine Führung in die schwarzen Keller des Magazins, die man mit riesigen Stahlaufzügen erreicht, in denen man sich winzig und verloren und ganz und gar auf den mächtigen Parsanejad angewiesen fühlt; bis plötzlich von weit eine pathetische Musik auftönt, vielleicht nur für uns.
Hier unten lagern, säuberlich geordnet, die Bühnenbilder vergangener Aufführungen. „Da“, sagt Parsanejad, „ 'Macht des Schicksals‘. Hier: 'Macbeth‘“. Das ist die meterhohe Tür, die dröhnend zuschlägt, wenn der blutige Bote die Leichenteile bringt. „Sieht aus wie Eisen, ist aber aus Holz. Theater ist alles Lüge, aber die Zuschauer müssen dran glauben können.“
Sie glauben, glauben ja daran. Figaros Rokoko-Liebesbett, ganz echt alt und doch erst im Malersaal unter der Aufsicht von Parsanejad mit viel Grundierungsarbeit, Lack und Glasuren auf alt getrimmt. Die Hecken aus dem Garten der Gräfin, von nahem wie Bundeswehr-Tarnungslaub, „aber die müssen Sie auf der Bühne im Mondlicht (!) sehen.“
Und Maria, die heilige Maria aus der Verdi-Oper Simon Boccanegra, dreimeterfünfzig hoch und mit schweren Eisenketten behängt. „Die liebe ich sehr“, sagt Parsanejad, „ich habe sie selbst nach einer ganz alten Methode gebaut. Mit Draht, Papier und Knochenleim. Wir haben hier zwar sehr viel Lagerplatz, aber irgendwann werden sie die Maria doch zerstören, ich kann sie ja nicht in meiner Wohnung aufstellen.“
Jedes einzelne Bühnenbild kostet mindestens 40.000 Mark, die Arbeitskraft der 10 Malersaal-ArbeiterInnen nicht mitgerechnet. Die, übrigens, schuften nicht als Geister der Unterwelt. Der Malersaal liegt im dritten Stock des Theatergebäudes am Goetheplatz und hat ein gläsernes Dach. In der zwei-räumigen Halle wird gerade eine Bretterkonstruktion für das Weihnachtsmärchen angestrichen. Ein Vorhang, der im „Nathan“ zerreißen und verbrennen soll, bedeckt den größten Teil des Bodens. Er wird nach einem winzigen Modell der Bühnenbildnerin mit Farbe besprüht, die ganze Luft ist voll von betäubendem Farbgeruch, von der Sorte, an der man sich berauschen kann. „Wird Ihnen nicht ganz schwindelig“ fragen wir eine mürrische Sprayerin, die uns keines Blickes würdigt und lakonisch rückfragt: „Würde ich dann hier arbeiten?“
Uns wird schon ein bißchen schwindelig. Es ist alles so überdimensional hier. „Ja“, Parsanejad zeigt ein handflächengroßes Mumienmodell (“Helena“), „die meisten Leute denken, im Malersaal wird nur angemalt. Die eigentliche Kunst aber besteht darin, aus einem sehr kleinen Vorbild etwas sehr Großes zu machen, damit die Proportionen für den Zuschauerraum stimmen.“ — Sie stimmen auch vom Blick seines Büros aus, der direkt auf die Ameisen-ArbeiterInnen im Malersaal fällt. Für Ballett, Oper und Schauspielhaus dirigiert Parsanejad die Bühnenbildmalerei, Tagwerk genug, vor allem, wenn viele Aufführungen gleichzeitig betreut werden müssen. Abends aber leitet er sein Schauspielstudio „Sturm“ und weiß sich als Erbverwalter des russischen Schauspieltheoretikers Stanislavski. „Ich war selbst fünf Jahre Schauspieler“, sagt Parsanejad nachdenklich, „damals in Teheran, am Nationaltheater, bevor ich wegen des Shah-Regimes nach Deutschland ging. Dann kam ich durch Kurt Hübner nach Bremen und schließlich in den Malersaal. Das war gut so, aber ich wäre sehr gern Schauspieler geblieben. Am 17. Oktober spielen meine Schüler Tschechow im 'Concordia‘. Kommen Sie doch unbedingt.“
Cornelia Kurth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen