Gestern wird schöner als Morgen

■ Wie die Medien dazu beitragen, daß der Rassismus in Deutschland wächst

Reden, Reden ohne Ende. Reden um den Brei herum und Phantasielosigkeit prägen die Diskussion über die Asylfrage und die Ausländerproblematik. Hierbei richtet sich meistens der anklagende Zeigefinger auf die führenden Politiker oder Parteien. Verschwiegen oder übersehen wird oft die wichtige Rolle der Medien, die als Multiplikator der Diskussionen und Meinungsbildner erheblich am Entstehen der Klischees und Vorurteile beteiligt sind.

Es beginnt schon mit der systematischen Ankündigung von Zahlen der Asylbewerber, die vor allem seit der Vereinigung tagaus, tagein bei jeder Nachrichtensendung den Zuhörern und Zuschauern wie Hammerschläge versetzt werden. Zahlen klingen stets sachlich, nüchtern und wahrheitsgetreu. Sie erhöhen die Überredungskunst. Nackte Zahlen allein sind trocken. Sie werden daher in Bilder eingebettet, die so oft gezeigt werden, daß sie automatisch eine Pawlowsche Reaktion hervorrufen. Bei ARD und ZDF zum Beispiel beginnen die Nachrichtensendungen über das Thema „Asyl“ fast immer mit demselben starren Bild: Massen von Asylbewerbern, eingepfercht zwischen Gittern, vor dem Eingang der Asylstelle. Eine eingeblendete unendliche Schlange unterstreicht die Kommentare und Zahlen des Nachrichtensprechers und suggeriert Tausende von Menschen. Die dazu angewandte oder von Politikern übernommene Terminologie steuert ihren entsprechenden Teil bei: Asylantenschwemme, Flut von Asylanten, Zahl dramatisch gestiegen...

Wörter und Bilder sind Geschwister. Wörter malen die Realität mit Bildern, und Bilder können durch Wörter bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden: Unsere Bilder sprechen unsere Sprache. Immer.

Das Interesse der Hintergrundberichte gilt fast ausschließlich den Aufnahmekapazitäten der Kommunen, den Auswirkungen auf die Lebensqualität der deutschen Bürger und vor allem der Zunahme der Kriminalität und der Arbeitslosigkeit, die implizit und oft direkt mit den Asylbewerbern in Verbindung gebracht werden. Das alles gewürzt mit Forderungen der Politiker, „endlich Maßnahmen gegen die Asylantenflut“ zu treffen. Wie ein hallendes Echo verlangen Kommentatoren die Mittel der Abwehr.

Indessen, das Monster Rassismus wächst, es wird zur alltäglichen Realität, und große Teile der Republik schauen zu oder weg.

In den meisten Diskussionen werden die Ausländer als „Problem“ erörtert. Wieviele Sendungen oder Berichte wurden aber dem menschlichen Schicksal dieser Menschen, ihren Leiden gewidmet? AusländerInnen, AsylantInnen, Flüchtlinge werden im Grunde genommen kaum mehr als eine gesichtslose Masse ohne fest umrissene Konturen wahrgenommen. Lediglich Haut- und Haarfarbe, die „andere“ Religion und das „Fremdartige“ bleiben haften.

Kein Wunder, daß unter diesen Bedingungen, über die kahlgeschorenen Horden hinaus, auch — und das ist das Bedrückendste — der Otto Normalverbraucher den Feueranzündern Beifall klatscht und in AusländerInnen oder AsylbewerberInnen potentielle Aggressoren und Störenfriede sieht. Haben uns nicht gar hochrangige Politiker belehrt, daß auch diese Leute „Menschen“ sind?!

Ob Talk-Show oder Unterhaltungssendung, zum zigsten Mal salbadern zu „Experten“ gekürte Pseudo-Intellektuelle jeglicher Disziplin über die Gründe der Gewaltexplosion. Über die Medien äußern Politiker und immer mehr Deutsche „Verständnis“ für die „verirrte Jugend“. Die Quelle des Unheils sei im „alten SED-Regime“, in dem „unerfahrenen Umgang mit Ausländern“ oder in der „sozialen Misere“ der neuen Bundes(mit?)bürgerInnen zu suchen! Dementsprechend lauter wird ihre Larmoyanz und das permanente Geschrei nach Kohle. Eine, aus nicht-deutscher Perspektive gesehen, manchmal geradzu anstößig klingende Angelegenheit angesichts der Lage in übrigen den ehemaligen „sozialistischen Ländern“, geschweige denn in den übrigen Teilen der Welt.

Auffallend in der Art und Weise, wie die Ausländerfeindlichkeit behandelt wird, ist, daß man stets über, aber in den seltensten Fällen mit den Ausländern diskutiert. Die Debatte — sofern man von einer Debatte sprechen könnte — wird ohne die Betroffenen geführt.

Natürlich, einige JournalistInnen und ModeratorInnen, manchmal gut inspiriert, denken auch mal daran, ihre Kolumnen oder ihre Sendungen einigen AusländerInnen zu öffnen, doch abgesehen davon, daß es viel zu selten passiert, sind es leider oft immer dieselben Gesichter. Dabei hat nicht zuletzt die „taz der Welt“ vom 9. November 1991 gezeigt, daß es viele „ausländische Mitbürger“ gibt, die — auch ohne „Ausländer-Bonus“, wie eine bekannte Berliner Journalistin zu sagen pflegt — ihre Meinung dazu haben und durchaus in der Lage sind, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Warum kommt man so selten auf die Idee, den Asylbewerbern selbst das Wort zu geben? Warum erleichtert man ihnen nicht den Zugang zu den Medien?

Während quer durch die Republik Asylbewerberheime angezündet, Gedenkstätten geschändet und zahlreiche wehrlose AusländerInnen überfallen werden, teilen sich Streit um die „Grundgesetzänderung“ und das „Verurteilen auf das schärfste“ die Gunst der Medien in dem Glauben, daß dadurch die Ruhe unter deutsche Dächer zurückkehren würde.

Ein bißchen Bewegung ist jedoch seit dem Anschlag auf die Gedenkstätte von Sachsenhausen deutlich in den Politikerreihen zu erkennen. Plötzlich scheint man das häßliche Gesicht der Ereignisse wahrgenommen zu haben. Wie aus einem langen Schlaf wachgerüttelt, überbieten sich nun Politiker aller Couleur an Entschuldigungen und Solidaritätskundgebungen. Man „schäme sich für Deutschland“, und prompt beginnt die Creme der Bonner Politiker in geschlossenen Reihen vor der verkohlten Gedenkstätte vorbeizumarschieren. Die Medien, immer dabei, schalten in den höheren Gang. Zufall? Oder was macht Sachsenhausen widerwärtiger als Hoyerswerda und Rostock? Über eine ähnlich dubiose Unterscheidung — die bisher von den wenigsten als solche gemacht wurde — sollen nun, laut „Tagesthemen“ vom 7. Oktober, Medien, Politiker und deutsche Justiz streiten: Soll der gestreckte Arm als Hitler- Gruß bestraft werden, oder ist es „nur“ ein Kühnen-Gruß?

Fast einstimmig hingegen ist mittlerweile die Forderung nach einer Änderung des Asylrechts, als ob ein Satz ausländerfeindliche Stimmungen verwandeln könnte. Mehr noch: Ein solcher Schritt wird sich wie Wasser auf die Mühlen jener auswirken, die ohnehin die AusländerInnen als die Wurzel jedes deutschen Übels sehen. Trotzdem, die Karawane zieht weiter, und die Politiker glauben, die Lösung des Problems sei in der Einschränkung des Asylrechts, in der stolzen Ankündigung, daß ab 1993 deutsche Soldaten auch ihren „Platz an der Sonne“ in der weiten Welt gewinnen werden, und in der kaum diskreten Forderung nach einem Platz — dem wirtschaftlichen und neuen politischen Look Deutschlands gebührend — als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat.

Und die Medien ziehen mit, denn nach wirklich kritischen Tönen gegen dieses Programm muß man — bis auf nennenswerte und als solche bekannte Ausnahmen — lange Ausschau halten. Im Gegenteil, die meisten von ihnen stellen sich hinter die Flagge dieser Ziele, die wohl als notwendige, in den Hochzeitskorb der endlich wieder geeinten beiden Staaten gehörende Mitgift verstanden werden. Die neue Republik im Herbst 1992: eine Medienlandschaft, wo sich Bilder, Wörter und Ängste vollfressen.

Im heutigen Deutschland wird Gestern schöner als Morgen. Mohamed Tilmatine