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100 Objects To Represent The World

■ Ausstellung von Peter Greenaway in der Akademie der Bildenden Künste Wien

Das Schwein durfte nicht mitspielen, da war der Tierschutz vor. Beim Kaltblüter gab es weniger Bedenken: So räkelt sich denn nun eine ausgewachsene Riesenschlange im engen Terrarium mit traurig zurechtgestutztem Ficus benjaminii. Und der Mensch ist, jedenfalls diesmal, ohnehin selbst schuld an seiner peinlichen Lage: Nackt in der Glasvitrine als „Adam und Eva“ (Objekt 14), im karierten Pyjama unterm Federbett als „Schlaf“ (Objekt 58) und in Gestalt einer stillenden Mutter mit „Baby“ (Objekt 33): „Zur Darstellung von unablässig neuen Anfängen, Erneuerung, Neubeginn, Kontinuität, Mutterschaft, Kindheit, Freude, Verletzlichkeit, Verantwortung“ (Greenaway).

Einhundert solcher „Objekte“ hat Peter Greenaway in einer gigantischen Materialschlacht an den Schauplätzen Hofburg und Semper-Depot versammelt, „100 Objekte zeigen die Welt“. Die Idee, die der britische Filmemacher auf Einladung der Akademie der Bildenden Künste anläßlich ihres 300jährigen Bestehens verwirklichen durfte: eine subjektive Konterversion zur Bestückung der US-Raumfähre Voyager, die 1977 mit allerlei Zeugnissen der menschlichen Kultur ins All gejagt wurde. „Es sollte nichts ausgelassen werden — kein Material, keine Technik, keine Gattung, keine Wissenschaft, keine Kunst [...], kein Trick und Behelf, den wir verwenden, um unsere Eitelkeit und Unsicherheit zu reflektieren und unseren Zweifel an unserer kosmischen Unwichtigkeit.“ (P.G.)

Die schöne Ironie dieses Ansatzes ist freilich irgendwo zwischen dem Kranwagen, der den „Entwurzelten Baum“ (Objekt 9) herbeikarrte, den Arbeitsgruppen, die auf dem Flohmarkt nach „100 Handschuhen“ (Objekt 95), „100 Brillen“ (Objekt 39) und „100 roten Büchern“ (Objekt 37) stöberten oder den Schneeberg mit der Kühlbox zwecks „Schnee“ (Objekt4) erklommen und dem Problem, Tierinnereien frisch zu halten („Die Seele“, Objekt 82), verloren gegangen. Der Eindruck läßt sich nicht verdrängen, die ganze Schau repräsentiere nicht die Welt, sondern bloß den Erfolg eines fleißigen Organisationsteams, das die gefaxten Anweisungen des Meisters aus London mit Akribie exekutierte. Bei der Fülle von hundert Posten war Beliebigkeit wohl unvermeidlich. So wirkt die Inszenierung im romantisch-ruinenhaften ehemaligen Kulissendepot des Gottfried von Semper trotz der übertriebenen Lichteffekte und des Theaterdonners („Eine Wolke“ läßt künstlichen Regen ab, Objekt 2) mit den ersten 13 Stücken schlüssiger, zumindest erträglicher, als der Erlebnis-Parcours in der Hofburg, dessen aufdringliche Sinnstiftungsgeste der Aura zarter, besonderer Objekte den Garaus macht (zum Beispiel dem Objekt 79, der „Sammlung von Vogelohrenknochen“ aus dem Naturhistorischen Museum).

Die Intention der Veranstalter, mit dem Ausstellungsauftrag an Greenaway ein Bekenntnis zum Erweitern möglicherweise obsolet gewordener Gattungsgrenzen abzugeben, ging nach hinten los. Denn die Bildende Kunst hat längst pointiertere, präziser gedachte und formal konsequentere Ergebnisse entwickelt: Seit Duchamps Objets trouvés wurde der Blick auf Alltagsobjekte gelenkt, Marcel Broodthaers demonstrierte die Wirkung der Institution Museum auf darin Versammeltes, die Appropriation Art behandelte die Veredelung von Konsumgütern zu Ideologieträgern und Fetischen, und schließlich ist die gesamte Interpretationspraxis gegenüber der Kunst nichts anderes als eben der Versuch, Einzelobjekte ihrer Fracht von Assoziationen zu entladen, um sie für das Verständnis des großen Ganzen dienlich zu machen. Die Erklärungen auf den Beipackzetteln, mit denen Greenaway seine Objekte bestückt, gelingen manchmal zumindest als hübsche Gedankenreihe. Objekt 51, „Ein ausgestopftes Pferd“: „Als Hinweis auf Pferde, Pferdefleisch, Geschwindigkeit der Tiere, vereitelte Ziele, versuchte Wiederauferstehung, Ironie, Räder als Ersatz für Beine, enttäuschte Geschwindigkeit, Rennen als Spiel, Wetten, Chance.“ Bei reiner Aufreihung freilich bleibt es auf der gesamten Bedeutungsmeile der „100 Objekte“ wucherndes Dekor ohne Aussage; ein Fitnesspfad für Bildungstrainees, die auf einem dicht mit Ertüchtigungsgeräten bestückten Rundweg um verödetes Brachland hecheln. Stella Rollig

Peter Greenaway: „100 Objekte zeigen die Welt“. Noch bis 8.November in Wien, Semper-Depot, Hofburg.

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