: Märchenstunde im Esplande
■ Shakespeares „Wintermärchen“ vom Theater aus Bremen
Am Hofe des sizilianischen Königs Leontes herrscht eine strenge Etikette. Als Königin Hermione in den Verdacht gerät, ein Verhältnis mit König Polyxenes aus Böhmen zu unterhalten, wirft der rasend eifersüchtige Leontes seine Frau ins Gefängnis. Polyxenes gelingt die Flucht in die Heimat, die neugeborene Tochter wird in der böhmischen Wüste ausgesetzt. Als Frau und Sohn aus Verzweiflung sterben, wird Leontes zum reumütigen Büßer – die Tragödie ist perfekt.
„Traurige Märchen passen besser zum Winter“, heißt es am Anfang des Stücks, und so kam Shakespeares Wintermärchen zu seinem etwas irreführenden Namen. Nichtsdestotrotz wagt das Trauerspiel in der zweiten Szene eine dramaturgische Kehrtwende. Jahre später, im sommerlichen Böhmen, mischt sich Prinz Florizel, Sohn des Polyxenes, auf einem Schafschurfest unter sein Volk. Doch zielsicher findet blaues Blut zu blauem Blute, als der junge Prinz sich in die vermeintliche Schäferin Perdita verliebt, die selbstredend keine andere als die gerettete Tochter des Leontes ist. Natürlich folgt das Happy-End auf dem Fuße.
Das Ensemble mit dem schlichten Namen „Theater aus Bremen“ (TaB) ist die mobile Abspaltung der legendären Bremer Shakespeare Company. Ohne eine feste Spielstätte und ohne Subventionen tourt die mittlerweile vierköpfige Crew seit April 91 durch Deutschland. Ihre mitreißenden Interpretationen des alten Meisters wirken ausgesprochen eigenwillig und modern. Dennoch bleiben sie dem traditionellen Volkstheater in einem höheren Maße treu, als das auf staatlichen Bühnen gemeinhin der Fall ist. „Was uns heute als große Kunst übermittelt wird, ist eigentlich ein Produkt des Zufalls“, sagt Peter Kaempfe vom TaB: in Shakespeares Volkstheater wurde vorwiegend improvisiert, die heute überlieferten Stücke sind nur Niederschriften verschiedener Aufführungen.
Zwar halten sich die Schauspieler vom TaB, die mit nur drei Personen 42 Rollen interpretieren, an ihren Text. Aber ganz im Sinne Shakespearscher Freiheit hat Regisseur Chris Alexander seine eigenen Übersetzungen verfaßt. Monologe aus dem Originaltext werden zu Dialogen mit dem Publikum, und wenn sich im heiteren Böhmen das tragische Wintermärchen zur Komödie wendet, stammen ganze Textpassagen aus der Feder des Bremer Interpreten. Auch das Bühnenbild ist ein Zugeständnis an die Tradition. Eine reduzierte Kulisse delegiert jegliche Verantwortung für eine lebendige Aufführung an die Schauspieler. Anke Engelsmann, Peter Kaempfe und Gabriele Blum füllen diese beabsichtigte Lücke mit Bravour.
Das Stück legt ein derartiges Tempo aufs Parkett, daß man sich bei den Ovationen am Schluß angesichts dreier verbeugender Darsteller etwas konsterniert fragt, wo denn die anderen bleiben. Jantje Hannover
Berliner Globe Theater am Esplanade, 16./17., 19.-24.10. um 19.30 Uhr
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